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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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sich - ihn hatte man während des Aufruhrs verschont: Immerhin war er Arzt. Irgendwann fing man an, ihn den Prinzen oder den Herzog zu nennen, anfangs aus Spaß, später gewöhnte man sich daran, und Maxim sagte, um keine Frage offenzulassen: Herzogprinz.
    »Freunde«, begann der Herzogprinz. »Wir haben heute Vorschläge unseres Freundes Mak zu erörtern. Sehr wichtige Vorschläge. Wie wichtig sie sind, könnt ihr daran ermessen, dass Hexenmeister selbst gekommen ist und vielleicht auch mit uns sprechen wird.«
    Gai hob den Kopf. Tatsächlich: Den Rücken gegen die Wand gelehnt, saß Hexenmeister höchstselbst in einer Ecke. Sah man ihn an, überlief es einen eiskalt, doch ihn nicht anzusehen war unmöglich. Ein bemerkenswerter Mensch! Selbst Maxim schaute gewissermaßen zu ihm auf; einmal hatte er zu Gai gesagt: »Hexenmeister, Bruderherz, das ist jemand!« Hexenmeister war klein von Wuchs, untersetzt, gepflegt, hatte kurze, kräftige Arme und Beine und wirkte insgesamt
nicht ganz so hässlich wie die anderen. Zumindest war er keine Missgeburt. Dichtes, kräftiges Haar bedeckte seinen riesigen Schädel wie ein silbriger Pelz, und sein kleiner Mund war seltsam geformt - so als pfiffe Hexenmeister immerzu durch die Zähne. Sein Gesicht wirkte trotz der Tränensäcke hager, und in den großen schmalen Augen saßen die Pupillen vertikal - wie bei einer Schlange. Hexenmeister sprach wenig, ging selten unter Menschen und wohnte allein in einem entlegenen Keller am Stadtrand. Wegen seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten genoss er jedoch große Autorität. Erstens hielt man ihn für sehr klug - Hexenmeister wusste alles, obwohl er nicht älter war als zwanzig und die Stadt nie verlassen hatte. Gab es Probleme, trug man sie ihm demütig vor, um seinen Rat zu erhalten. Meistens antwortete er nicht, was bedeutete, dass die Sache unwichtig war: Entscheide, wie du willst, es wird richtig verlaufen. Ging es aber um Lebenswichtiges - das Wetter, beispielsweise, oder die Frage, was wann zu säen sei -, äußerte er stets seine Meinung, und er hatte sich noch nie geirrt. Nur die Ältesten durften zu ihm, und sie schwiegen darüber, was sie dort erlebten. Man munkelte, dass Hexenmeister, selbst wenn er einen Rat gab, den Mund nicht öffnete, sondern die Leute nur ansah - und ihnen selbst klarwurde, was zu tun sei. Zweitens besaß er Macht über die Tierwelt. Niemals beanspruchte er Speisen oder Kleidung von der Gemeinschaft - mit allem versorgten ihn die Tiere, sowohl höher entwickelte als auch Frösche und Insekten. Seine wichtigsten Dienstboten aber waren die großen Fledermäuse, mit denen er sich, wie es hieß, verständigen konnte, so dass sie ihm gehorchten. Weiterhin wurde erzählt, er wisse Unerklärbares - Dinge, die zu begreifen unmöglich sei. Aber was Hexenmeister darüber sagte, schien Gai nur eine Ansammlung von Worten zu sein: schwarze Ödnis vor dem Aufflammen des Weltlichts; tote, eisige Wüste nach seinem Erlöschen; Endlosigkeit mit vielen Weltlichtern. Keiner wusste, was das
bedeutete, Maxim aber wiegte den Kopf und brummte begeistert: »Was für ein Intellekt!«
    Hexenmeister sah niemanden an. Der Nachtvogel auf seiner Schulter trat, blind und plump, von einem Bein aufs andere. Und von Zeit zu Zeit holte Hexenmeister Bröckchen aus der Tasche und schob sie ihm in den Schnabel; der Vogel erstarrte für einen Augenblick, reckte dann seinen Hals und schluckte.
    »Es sind sehr wichtige Vorschläge«, fuhr der Herzogprinz fort, »und deshalb bitte ich euch, aufmerksam zuzuhören. Du, Boschku, koche recht starken Tee, mein Freund, denn wie ich sehe, nicken manche von euch schon ein. Das aber wollen wir verhindern. Nehmt alle Kraft zusammen, womöglich entscheidet sich jetzt euer Schicksal.«
    Die Versammelten raunten zustimmend. Einen Glotzäugigen zerrten sie an den Ohren von der Wand weg, wo er es sich zum Schlafen bequem gemacht hatte, und setzten ihn in die erste Reihe. »Aber ich wollte doch gar nicht …«, murmelte er, »das war nur so, ich meine, man sollte sich kurz fassen, sonst habe ich, ehe es zum Ende kommt, den Anfang schon wieder vergessen.«
    »Gut«, stimmte der Herzogprinz zu. »Also kurz: Die Soldaten drängen uns nach Süden, in die Wüste. Sie kennen kein Pardon und lassen nicht mit sich reden. Aus den Familien, die sich nach Norden durchzuschlagen versuchten, ist keiner zurückgekehrt. Wir müssen annehmen, dass alle umgekommen sind. Das heißt, in zehn, fünfzehn Jahren werden wir endgültig

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