Gesammelte Werke 1
Ordonnanzen, Offiziersburschen und Adjutanten gemischt und einem von ihnen das Radio abgeknöpft.
Im beheizten Güterwagen reagierte man auf diese Nachricht mit einem deftigen, patriotischen Gelächter. Alle vierzig Mann scharten sich sogleich um Sef und versuchten, einen Platz zu ergattern, fluchten und schlugen, wenn gedrängelt wurde, einander ins Gesicht, beschwerten sich übereinander, bis Maxim schließlich raunzte: »Ruhe, ihr Dreckskerle!« Da wurden sie still. Sef schaltete das Radio ein und suchte nacheinander alle Sender.
Bald erfuhren sie sehr interessante Dinge. Erstens stellte sich heraus, dass der Krieg noch gar nicht angefangen hatte. Der Sender »Die Stimme der Väter«, der die ganze letzte Woche hindurch über blutige Schlachten auf dem eigenen Territorium lamentierte, hatte schlichtweg gelogen. Keinerlei blutige Schlachten waren geschlagen worden. Die »Hontianische Patriotische Liga« posaunte entsetzt in die Welt hinaus, diese Banditen und Usurpatoren - die sogenannten Unbekannten Väter - nähmen die niederträchtige Provokation ihrer Knechte, der berüchtigten »Gerechtigkeitsunion von Honti« zum Vorwand, ihre gepanzerten Horden an der Grenze zum leidgeprüften Honti zu konzentrieren. Die »Gerechtigkeitsunion« ihrerseits belegte die »Hontianischen Patrioten« - diese bezahlten Agenten der Unbekannten Väter - ebenfalls mit den schlimmsten Beschimpfungen. Sie schilderte ausführlich, wie man die von den vorangegangenen Kämpfen ermatteten Einheiten mit überlegenen Kräften über die Grenze gedrängt und ihnen die Möglichkeit verwehrt hatte zurückzukehren. Dies wiederum diene den sogenannten Unbekannten Vätern als Vorwand für eine barbarische Invasion, die man nun jede Minute erwarten müsse. Sowohl die »Liga« als auch die »Union« hielten es dabei in fast übereinstimmenden
Formulierungen und Phrasen für ihre Pflicht, den unverschämten Aggressor zu warnen, dass der Gegenschlag vernichtend sein werde, und spielten vage auf gewisse Atomfallen an.
Der pandeische Rundfunk hingegen beschrieb die Lage in ruhigen Tönen und erklärte unumwunden, dem Staat Pandea sei jedwede Entwicklung dieses Konflikts recht. Die privaten Stationen in Honti und Pandea unterhielten ihre Zuhörer mit fröhlicher Musik und frivolen Quizsendungen, und die beiden Regierungssender der Unbekannten Väter übertrugen ununterbrochen Reportagen von Hasskundgebungen im Wechsel mit Soldatenmärschen. Sef erwischte auch fremdsprachige Sendungen, die aber nur er verstand. So teilte er den anderen mit, dass das Fürstentum Ondol offensichtlich noch existiere, mehr noch - dass es seine räuberischen Angriffe auf die Insel Hazzalg fortsetze. (Außer Sef hatte keiner im Waggon je von diesem Fürstentum oder von der genannten Insel gehört.) Vor allem aber konnten sie über den Empfänger die wechselseitigen, unvorstellbar groben Beschimpfungen der Befehlshaber verschiedener Truppenteile und -verbände mithören, die sobald wie möglich über die zwei völlig ramponierten Eisenbahnlinien ins Hauptaufmarschgebiet vordringen wollten.
»Wieder sind wir nicht zum Krieg bereit, Massaraksch«, sagte Sef und schaltete das Radio aus. Damit war die Diskussion eröffnet.
Man widersprach ihm. Nach Ansicht der meisten rückte mit ihnen eine gewaltige Streitmacht vor, und die Hontianer würden schnell erledigt sein. Für die Kriminellen war das Wichtigste, die Grenze zu überschreiten: Dann sei wieder jeder sein eigener Herr, und sie könnten jede eroberte Stadt drei Tage lang plündern. Die Politischen, also die Entarteten, sahen die Lage düsterer; sie erwarteten von der Zukunft nichts Gutes und erklärten ohne Umschweife, man führe sie
zur Schlachtbank: Sie sollten mit ihrem eigenen Körper die Atomminen auslösen, keiner von ihnen werde überleben und es sei am allerbesten, sich in Frontnähe gut zu verstecken, damit sie niemand finde. Die Standpunkte der Streitenden waren so gegensätzlich, dass kein echtes Gespräch zustande kam und der Disput bald in den immer gleichen Beschimpfungen über die gemeinen Schweine endete, die ihnen schon den zweiten Tag nichts zu fressen gegeben und den ihnen zugeteilten Schnaps selbst gesoffen hatten. Darüber würden die Soldaten der Strafeinheit nun die ganze Nacht schimpfen, so dass sich Sef und Maxim von der Menge entfernten und sich auf ihre Pritschen legten, die aus ungehobelten Brettern schief zusammengenagelt waren.
Sef war hungrig und wütend, er wollte schlafen, aber Maxim
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