Gesammelte Werke 1
hinderte ihn daran. »Schlafen kannst du später«, sagte er streng. »Morgen sind wir vielleicht schon an der Front, und bis jetzt haben wir noch über nichts gesprochen.« Sef brummte in seinen Bart, dass es nichts zu bereden gäbe, der Morgen sei klüger als der Abend. Maxim habe doch selbst Augen im Kopf und müsse sehen, in welcher Lage sie sich befänden - mit diesen Kerlen sei unmöglich etwas anzufangen. Maxim wandte ein, davon sei vorerst auch keine Rede, doch habe er immer noch nicht begriffen, weshalb dieser Krieg angezettelt worden sei und wem er nütze, und Sef solle doch bitte schön nicht schlafen, wenn man sich mit ihm unterhalte, sondern seine Meinung äußern.
Sef jedoch hatte dazu keine Lust. Wie käme er denn dazu? Er müsse sehr dringend etwas fressen und hätte es wohl mit einem Milchbart zu tun, der nicht die einfachsten Schlüsse ziehen könne und noch dazu auf Revolution aus sei. Dann knurrte er, gähnte und kratzte sich, wickelte seine Fußlappen neu, schimpfte wieder, und wurde dann - ermuntert, angespornt und getrieben - endlich gesprächig und legte Mak seine Auffassung über die Gründe des Krieges dar.
Seiner Meinung nach gab es mindestens drei, wobei diese sich entweder zu gleichen Teilen auswirkten, oder einer die anderen dominierte. Womöglich existierte sogar noch ein vierter, der aber ihm, Sef, bisher nicht eingefallen sei. In erster Linie ginge es um die Ökonomie, denn jeder wisse: Ist die Wirtschaft räudig, fängt man am besten einen Krieg an, um allen auf einmal das Maul zu stopfen. Wildschwein, der den Einfluss der Ökonomie auf die Politik von vorne bis hinten studiert hatte, habe diesen Krieg schon vor fünf Jahren vorausgesagt. Die Türme seien das eine - Mangel etwas ganz anderes: Einem Hungrigen könne man nicht lange einreden, er sei satt; das verkrafte seine Psyche nicht. Und ein verrücktes Volk zu regieren mache wenig Spaß, zumal Verrückte unempfänglich seien gegen die Strahlung. Der zweite mögliche Grund sei ideologischer Natur. Die Staatsideologie im Land der Väter fuße auf einer äußeren Bedrohung. Anfangs sei das einfach nur eine Lüge gewesen, um Disziplin in die Nachkriegs-Anarchie zu bringen. Dann aber hätten sich diejenigen von der Macht zurückgezogen, die diese Lüge erfunden hatten, ihre Nachfolger aber glaubten nun tatsächlich, Honti wolle ihre Reichtümer plündern. Und wenn man bedenke, dass Honti eine ehemalige Provinz des alten Reiches sei, die sich in schweren Zeiten für unabhängig erklärt hatte, kämen noch kolonialistische Aspekte hinzu: die Dreckskerle wieder zurück ins Reich zu holen und sie vorher hart zu bestrafen. Und schließlich sei noch ein innenpolitischer Grund denkbar. Es gebe schon viele Jahre Streit zwischen dem Departement für Volksgesundheit und den Militärs. Im Prinzip ginge es darum, wer wen schlucke. Das Volksgesundheitsdepartement sei eine unersättliche, ja, unheimliche Organisation. Wenn sich die Kriegshandlungen nun aber einigermaßen erfolgreich entwickelten, könnten die Herren Generale diesen Verein mühelos an die Kandare nehmen. Käme bei dem Krieg jedoch nichts Gescheites heraus, gerieten die Generale unter Druck. Insofern könne
man letztlich auch nicht ausschließen, dass dieser ganze Krieg eine ausgeklügelte Provokation des Departements für Volksgesundheit sei. Übrigens sähe es sowieso danach aus - wenn man von dem Durcheinander ausgehe, das hier überall herrsche, und auch davon, dass sie schon seit einer Woche alles Mögliche in die Welt hinaustrompeteten, die Kämpfe aber, wie sich zeigte, noch nicht einmal begonnen hatten. Vielleicht, Massaraksch, auch gar nicht beginnen würden.
Als Sef an diesem Punkt angelangt war, polterten und ruckten die Puffer, und der Wagen erzitterte. Von draußen waren Schreie, Pfiffe und Hufgetrappel zu hören, und dann setzte sich der Zug mit der Panzer-Strafbrigade in Bewegung. »Und wieder gab’s kein Fressen, keinen Schnaps …«, grölten die Kriminellen.
»Gut«, setzte Maxim das Gespräch fort. »Das klingt alles sehr glaubhaft. Aber wie stellst du dir den Verlauf des Krieges vor, wenn er nun doch beginnt? Was passiert dann?«
Sef raunzte aggressiv, er sei ja wohl kein General, erklärte dann aber trotzdem, wie sich die Dinge für ihn darstellten: »Den Hontianern ist es gelungen, sich in der kurzen Atempause zwischen Welt- und Bürgerkrieg durch einen mächtigen Atomminengürtel gegen ihre einstige Kolonialmacht abzugrenzen. Außerdem verfügen sie
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