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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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ganzen Weg von Moskau hierher - bloß mit einer Badehose?«
    Wieder hatte ich es mit einem etwa Hundertjährigen zu tun. Er war fast so hager wie seine Angelrute aus Bambus, sein Gesicht jedoch nicht gelblich, sondern eher braun, fast schwarz. Vielleicht lag das aber auch an dem Kontrast zu seiner makellos weißen Kleidung. Seine blauen Augen waren eher klein, wirkten aber sehr jung und fröhlich. Die strahlend weiße Mütze mit der großen Sonnenblende bedeckte seinen sicherlich kahlen Kopf und ließ ihn wie einen pensionierten Jockey aussehen oder wie einen Jungen aus einem Buch von Mark Twain, der die Sonntagsschule schwänzt.

    »Es soll hier sehr viele Fische geben«, sagte ich und hockte mich neben ihn.
    »Schwindel«, erwiderte er kurz und in harschem Ton.
    »Man sagt, hier könne man seine Zeit sehr angenehm verbringen«, sagte ich.
    »Kommt drauf an, wer man ist.«
    »Es soll auch ein beliebter Kurort sein.«
    »War es«, sagte er.
    Jetzt fiel mir nichts mehr ein. Wir schwiegen.
    »Vor drei Jahren, junger Mann«, erklärte er in belehrendem Ton, »war hier ein beliebter Kurort. Oder, wie sich mein Urenkel Brjatscheslaw ausdrückt, ›drei Jahre zurück‹. Jetzt aber gibt es hier keine Erholung mehr ohne eisiges Wasser, ohne Mückenschwärme, ohne ungegartes, rohes Essen und dichten Urwald. ›Starrender Fels mein Aufenthalt‹, sehen Sie - wie Taimyr- und Baffinland … Raumfahrer?«, fragte er plötzlich. »Progressor? Ethnologe?«
    »War ich«, antwortete ich nicht ohne Schadenfreude.
    »Und ich bin Arzt«, sagte er prompt. »Ich nehme an, Sie brauchen mich nicht? In den letzten drei Jahren hat mich hier kaum jemand gebraucht. Sicher, die Erfahrung lehrt, dass ein Patient selten allein kommt. Gestern zum Beispiel bin ich gebraucht worden. Warum also nicht auch heute? Sind Sie sicher, dass Sie mich nicht brauchen?«
    »Nur als angenehmen Gesprächspartner«, sagte ich aufrichtig.
    »Na, wenigstens dafür schönen Dank«, erwiderte er. »Dann kommen Sie, gehen wir Tee trinken.«
    Doktor Goannek bewohnte eine geräumige Blockhütte neben dem medizinischen Pavillon, die mit allem Notwendigen ausgestattet war: einer Außentreppe mit Geländer, geschnitzten Fensterrahmen, einem Wetterhahn, einem russischen Ultraschallofen mit automatischer Temperaturregelung, integrierter Wanne und Doppelliege sowie einem zweistöckigen
Keller, der an die Versorgungslinie angeschlossen war. Hinter dem Haus befand sich inmitten hoher Brennnesseln eine Null-T-Kabine, geschickt getarnt als Abort aus Holz.
    Doktor Goanneks Tee bestand aus kalter Rübensuppe, Hirsebrei und Kürbis sowie aus schäumendem Kwass mit Rosinen. Tee als solchen gab es nicht: Nach seiner festen Überzeugung verursachte der Genuss von starkem Tee die Bildung von Steinen, und dünnen Tee hielt er für kulinarischen Nonsens.
    Doktor Goannek war schon sehr lange in »Ossinuschka«; vor zwölf Jahren hatte er die hiesige Praxis übernommen. Kennengelernt hatte er »Ossinuschka« als gewöhnlichen Kurort, wie es sie zu Tausenden gab, und dann seinen sensationellen Aufstieg miterlebt - als es in der Kurortkunde hieß, nur die gemäßigte Zone garantiere optimale Erholung. Und er hatte »Ossinuschka« auch jetzt nicht verlassen, wo sich der Kurort, wie es schien, in hoffnungslosem Niedergang befand.
    Die diesjährige Saison hatte wie immer im April begonnen und bisher nur drei Leute nach »Ossinuschka« gelockt. Mitte Mai kam ein Ehepaar - zwei vollkommen gesunde Umweltreiniger, die aus dem Nordatlantik anreisten, wo sie eine Unmenge radioaktiven Mülls beseitigt hatten. Das Paar - ein Bantu-Afrikaner und eine Malayin - hatte die Hemisphären verwechselt und geglaubt, es könne hier im Mai Ski laufen. Nachdem es einige Tage durch die umliegenden Wälder gewandert war, machte es sich eines Nachts mit unbekanntem Ziel davon und schickte erst eine Woche später ein Telegramm von den Falkland-Inseln, mit entsprechenden Entschuldigungen.
    Und dann war gestern früh ganz unverhofft noch ein sonderbarer junger Mann in »Ossinuschka« aufgetaucht. Wieso sonderbar? Zum einen war unklar, wie er hierhergekommen war, denn er hatte weder Land- noch Wasserfahrzeug dabei.
Das wusste Doktor Goannek wegen seiner Schlaflosigkeit und seines guten Gehörs ganz genau. Zu Fuß aber war er auch nicht gekommen - er sah nicht nach einem Wanderer aus; solche Touristen erkannte Doktor Goannek zuverlässig am Geruch. Blieb nur der Null-Transport. Der aber funktionierte seit einigen Tagen

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