Gesammelte Werke 1
wirkten aber ganz krank.
Bevor ich eingetreten war, hatte sie alleine in ihrem Büro gesessen, obwohl sich eine Menge Kollegen und wohl auch viele Freunde um sie herum aufhielten. Vielleicht war sogar jemand zu ihr gekommen und hatte das Gespräch gesucht. Aber Maja Glumowa war für sich geblieben, weil niemand hier etwas wusste von dem Menschen, der sie in eine so tiefe Verzweiflung gestürzt hatte, in so brennende Enttäuschung, der so viele Gefühle in ihr ausgelöst hatte in dieser Nacht. Sie hatten sich angestaut, keinen Weg nach außen gefunden, und da war ich erschienen und hatte Lew Abalkins Namen genannt
- so, als hätte ich mit einem Skalpell ein Geschwür geöffnet. Alles brach aus ihr heraus; sie fühlte sich eine Zeit lang sehr erleichtert, konnte sich ausschreien, ausweinen und von ihrem Schmerz befreien. Dann aber kehrte ihr Verstand zurück, und ich erschien ihr nicht mehr als derjenige, der Heilung brachte, sondern als der, der ich in Wirklichkeit war: ein fremder, unbeteiligter Mensch, der zufällig vorbeigekommen war. Und jetzt wurde ihr plötzlich klar, dass ich nicht gar so zufällig gekommen sein konnte, denn solche Zufälle gibt es nicht. Es ist einfach nicht möglich, dass, nachdem man sich vor zwanzig Jahren von seinem Geliebten trennte, man zwanzig Jahre lang nichts von ihm hört, zwanzig Jahre lang niemand seinen Namen nennt, und man ihn dann, nach zwanzig Jahren, wieder trifft, eine Nacht mit ihm verbringt, die schrecklich ist und bitter, schrecklicher und bitterer als jede Trennung, und dass dann, am Morgen darauf, zum ersten Mal nach zwanzig Jahren, plötzlich jemand seinen Namen ausspricht - ein fremder, unbeteiligter Mensch, der zufällig vorbeigekommen ist …
»Wer … sind Sie?«, fragte sie wieder mit tonloser Stimme.
»Ich heiße Maxim Kammerer«, antwortete ich zum dritten Mal und versuchte, dabei einen besonders verwirrten und ratlosen Eindruck zu machen. »Ich bin so etwas wie ein Journalist. Aber um Himmels willen: Ich komme offenbar sehr ungelegen. Wissen Sie, ich sammle Material zu einem Buch über Lew Abalkin.«
»Was tun Sie hier?«
Sie glaubte mir nicht. Vielleicht fühlte sie, dass ich kein Material über Lew Abalkin suchte, sondern ihn selbst. Ich musste mich darauf einstellen. Und das ziemlich schnell. Und selbstverständlich stellte ich mich darauf ein:
»In welchem Sinne?«, erkundigte sich der Journalist Kammerer verblüfft und ein wenig beunruhigt.
»Haben Sie hier einen Auftrag?«
Der Journalist Kammerer tat jetzt sehr erstaunt. »Einen … Auftrag? Äh … Ich verstehe nicht ganz …« Der Journalist Kammerer wirkte ziemlich erbärmlich. Kein Zweifel, auf solch eine Begegnung war er nicht vorbereitet gewesen, war, ohne es zu wollen, in eine dumme Situation geraten und hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er wieder herauskommen sollte. Nichts auf der Welt wollte der Journalist Kammerer jetzt lieber als davonlaufen. »Maja Toivowna, ich bin doch … Um Himmels willen, denken Sie bloß nicht … Nehmen Sie an, ich hätte gar nichts gehört. Ich habe schon alles vergessen. Ich bin überhaupt nicht hier gewesen! … Aber wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann …«
Der Journalist Kammerer stotterte, faselte sinnloses Zeug und war vor Verlegenheit ganz rot geworden. Er saß nicht mehr, sondern stand in gespannter, höchst unbequemer Haltung über den Tisch gebeugt und versuchte, Maja Toivowna aufmunternd am Ellenbogen zu fassen. Er war wohl recht widerlich anzuschauen und etwas dümmlich, aber ganz gewiss war er völlig harmlos.
»Ich habe, wissen Sie, so eine Arbeitsmethode …«, murmelte er in einem lausigen Versuch, sich zu rechtfertigen. »Vielleicht ist sie umstritten, ich weiß nicht, aber früher ist es mir immer gelungen. Ich beginne an der Peripherie: Kollegen, Freunde, die Lehrer, versteht sich … Ausbilder … Und erst danach, völlig gewappnet sozusagen, wende ich mich dem eigentlichen Objekt der Untersuchung zu. Ich habe mich bei der KomKon erkundigt und erfahren, dass Abalkin jeden Tag auf die Erde zurückkehren muss. Mit dem Lehrer habe ich schon gesprochen. Mit der Ärztin. Dann habe ich beschlossen, mit Ihnen … Aber der Zeitpunkt war ungünstig. Entschuldigen Sie bitte vielmals. Ich bin nicht blind, ich sehe, dass hier ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen …«
Und so gelang es ihm, diesem dümmlichen, tölpelhaften Journalisten Kammerer, Maja Glumowa zu beruhigen. Sie
lehnte sich im Sessel zurück und hielt die Hand vors
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