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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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gefahrlosen Erde, schon ein bisschen sorglos geworden. Zweifelhaft. Wir werden sehen. Jetzt ist er jedenfalls erstarrt, auf einem Bein stehend, und horcht. Und so wird er ungefähr fünf Minuten lang horchen.
    Aber er dachte gar nicht daran, auf einem Bein zu stehen und zu horchen. Er kam näher, und seine Bewegungen wurden von einer ganzen Kakophonie lauter Geräusche begleitet,
die vollkommen untypisch für einen Progressor waren. Man hörte ihn latschen und schlurfen. Er stieß an Türbalken und Wände. Einmal lief er gegen ein Möbelstück und stieß eine Reihe unverständlicher Ausrufe voller Zischlaute aus. Und als ein schwacher Widerschein von elektrischem Licht auf die Bildschirme der Projektoren fiel, wurde aus meinen Zweifeln Gewissheit.
    »Das ist er nicht«, sagte ich ziemlich laut zu Seiner Exzellenz.
    Seine Exzellenz nickte. Er wirkte irritiert, finster. Jetzt stand er seitlich zur Wand, mit dem Gesicht zu mir, breitbeinig und etwas nach vorn geneigt, und man konnte sich leicht vorstellen, wie er in einer Minute den falschen Progressor mit beiden Händen am Kragen packen, ihn durchschütteln und ihm ins Gesicht brüllen würde: »Wer bist du, und was machst du hier, elender Hundesohn?«
    Und ich malte mir dieses Bild so deutlich aus, dass ich mich anfangs nicht einmal wunderte, als er mit der linken Hand den schwarzen Anorak zurückschlug und mit der rechten seine geliebte 26er »Herzog« in die Brusttasche schob - als mache er die Hände frei fürs Zupacken und Durchschütteln.
    Als mir jedoch klarwurde, dass er die ganze Zeit über mit der achtschüssigen »Herzog« in der Hand dagestanden hatte, erstarrte ich plötzlich vor Schreck. Das konnte nur eins bedeuten: Seine Exzellenz war bereit gewesen, Lew Abalkin zu töten. Ja, zu töten, denn Seine Exzellenz zog die Waffe niemals, um jemanden zu erschrecken, zu bedrohen oder zu beeindrucken - er zog sie nur, um zu töten.
    Ich war so schockiert, dass ich alles um mich herum vergaß. Aber da drang ein breiter Strahl hellen Lichts in das Arbeitszimmer, und zum letzten Mal am Türrahmen anstoßend, trat der falsche Abalkin herein.
    Im Grunde hatte er sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Lew Abalkin: stämmig, wohlproportioniert, nicht besonders
groß, schulterlanges schwarzes Haar. Er trug einen weiten weißen Anzug und hielt vor sich eine Taschenlampe der Marke »Tourist«, und in der anderen Hand hatte er einen kleinen Koffer, beziehungsweise eine große Aktentasche. Als er eintrat, blieb er stehen, ließ den Strahl der Taschenlampe über die Regale wandern und sagte: »Nun, hier scheint es zu sein.«
    Er hatte eine kratzige Stimme, und sie klang betont munter. In diesem Ton sprechen für gewöhnlich Menschen mit sich selbst, wenn sie sich ein bisschen fürchten, unsicher sind oder sich schämen - kurzum, wenn ihnen nicht wohl ist in ihrer Haut. »Mit einem Bein im Straßengraben«, wie man in Honti sagt.
    Jetzt sah ich, dass es ein alter Mann war. Vielleicht sogar älter als Seine Exzellenz. Er hatte eine lange spitze Nase mit einem kleinen Höcker darauf, ein langes spitzes Kinn, eingefallene Wangen und eine hohe, sehr weiße Stirn. Er ähnelte weniger Lew Abalkin als vielmehr Sherlock Holmes. Vorerst konnte ich nur eines mit absoluter Gewissheit sagen: Diesen Menschen hatte ich nie zuvor im Leben gesehen.
    Nachdem er sich flüchtig umgeschaut hatte, trat er an den Tisch, stellte sein Köfferchen auf das geblümte Tuch direkt neben unseren Klotz und fing an, im Schein der Taschenlampe die Regale zu betrachten, ohne Eile und methodisch, Bord für Bord, Sektion für Sektion. Dabei brummte er unablässig etwas in seinen Bart, zu verstehen aber waren nur einzelne Worte: »… Nun, das ist allgemein bekannt … hmm-hmm-hmm … Gewöhnliches Illisium … hmm-hmm-hmm … Trödel über Trödel … hmm-hmm … Haben es versteckt, verkramt, verborgen … hmm-hmm-hmm …«
    Seine Exzellenz verfolgte das alles sehr aufmerksam, hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt, und auf seinem Gesicht erkannte ich einen sehr ungewohnten und ihm gar nicht eigenen Ausdruck hoffnungsloser Müdigkeit. Es schien, als sehe er etwas, dessen er schon jetzt überdrüssig sei, das
ihm fürs Leben verleidet und dabei doch unlösbar mit ihm verbunden war. Etwas, dem er sich anscheinend lange gebeugt hatte, nachdem er an den Versuchen verzweifelt war, es loszuwerden. Ich gebe zu, anfangs hatte ich mich noch gewundert, warum Seine Exzellenz sein Vorhaben aufgegeben hatte, den

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