Gesammelte Werke 1
neuerlichen Akt geheimer Machenschaften stößt, dann ist es seine Pflicht …«
»Seine Pflicht ist, ein wenig seine grauen Zellen zu bemühen, Bromberg! Seine Pflicht ist, sich klarzuwerden, dass er nicht im Mittelalter lebt. Und wenn er auf ein Geheimnis stößt, dann ist das nicht jemandes Laune und kein böser Wille …«
»Ja, keine Laune und kein böser Wille - sondern Ihre verblüffende Selbstsicherheit, Sikorsky, Ihre lachhafte und wahrlich mittelalterliche, idiotisch-fanatische Überzeugung, dass es gerade Ihnen gegeben sei zu entscheiden, was Geheimnis ist und was nicht! Sie sind ein Greis, Sikorsky, und haben noch immer nicht begriffen, dass vor allem das unmoralisch ist!«
»Ich finde es lächerlich, mit einem Mann über Moral zu sprechen, der einen Einbruch begeht, nur um seinen kindischen Wunsch nach Protest zu befriedigen! Sie sind nicht einfach ein Greis, Bromberg, Sie sind ein armseliger, alter Greis, der in die Kindheit zurückgefallen ist!«
»Wunderbar!«, sagte Bromberg und war plötzlich wieder ruhig. Er steckte die Hand in die Tasche seines weißen Anzugs, holte einen glänzenden Gegenstand hervor und legte ihn geräuschvoll vor Seiner Exzellenz auf den Tisch. »Hier ist mein Schlüssel. Wie jedem Mitarbeiter dieses Museums steht
mir ein Schlüssel für den Diensteingang zu, und den habe ich benutzt, um hereinzukommen …«
»Mitten in der Nacht und entgegen dem Verbot des Direktors?« Seine Exzellenz hatte keinen Schlüssel, sondern nur einen Magnetdietrich, und ihm blieb nur der Angriff.
»Mitten in der Nacht, aber immerhin mit einem Schlüssel! Und wo ist Ihr Schlüssel, Sikorsky? Zeigen Sie mir bitte Ihren Schlüssel!«
»Ich habe keinen Schlüssel! Ich brauche auch keinen! Ich bin dienstlich hier, und nicht, weil mich der Hafer sticht, Sie alter, hysterischer Narr!«
Und da ging es los! Ich bin sicher, dass in den Wänden dieses bescheidenen Arbeitszimmers noch nie so etwas vor sich gegangen war - Ausbrüche heiseren Brüllens, vermischt mit krächzenden Schreien, Beleidigungen und Bacchanalien von Gefühlen. Absurde Argumente und noch absurdere Gegenargumente. Ja, was heißt die Wände! Im Grunde handelte es sich ja nur um die Wände einer beschaulichen akademischen Institution, fernab von den Leidenschaften des Lebens. Aber ich - ein erwachsener Mann, der geglaubt hatte, schon vieles zu kennen -, selbst ich hatte niemals und nirgends so etwas gehört, jedenfalls nicht von Seiner Exzellenz.
Das Schlachtfeld war längst im Rauch versunken und der Streitgegenstand nicht mehr auszumachen. So wurden nur noch allerlei »verantwortungslose Schwätzer«, »feudale Mantel-und-Degen-Ritter«, »gesellschaftliche Provokateure«, »kahlköpfige Geheimagenten«, »verkalkte Demagogen« und »verkappte Kerkermeister der Ideen« wie glühende Kanonenkugeln hin und her geschossen. Und die weniger exotischen »alten Esel«, »Giftmorcheln« und »Marasmatiker« hagelten drein wie Schrapnells …
Mitunter jedoch verflüchtigte sich der Rauch, und dann eröffneten sich meinem erstaunten und gebannten Blick frappierende Retrospektiven. Dabei wurde mir klar, dass das Gefecht,
dessen zufälliger Zeuge ich wurde, nur einer von zahllosen, der Welt verborgen gebliebenen Kämpfen in einem lautlosen Krieg war, der schon zu einer Zeit begonnen hatte, als meine Eltern gerade aus der Schule kamen.
Ziemlich schnell war mir wieder eingefallen, wer dieser Isaac Bromberg war. Ich hatte schon früher von ihm gehört, vielleicht sogar schon, als ich noch als Anfänger in der Gruppe für Freie Suche arbeitete. Eins seiner Bücher - »Wie es wirklich war« - hatte ich gelesen: Es war die Geschichte des »Albtraums von Massachusetts«. Ich erinnerte mich, dass mir das Buch nicht gefallen hatte. Es war als Pamphlet angelegt und der Autor ereiferte sich gar zu sehr, die romantische Verklärung dieser wirklich schrecklichen Geschichte ein für alle Mal zu zerstören. Zudem widmete er der Diskussion über die politischen Prinzipien des Herangehens an gefährliche Experimente zu viel Raum; auch diese Diskussion hatte mich damals nicht im Geringsten interessiert.
In bestimmten Kreisen war Brombergs Name freilich bekannt und hochgeachtet. Man konnte ihn als »Ultralinken« der Bewegung der Jiyuisten bezeichnen; sie war noch von Lamondois gegründet worden und forderte das Recht der Wissenschaft auf schrankenlose Entwicklung.
Die Extremisten dieser Bewegung vertreten Prinzipien, die sich auf den ersten Blick völlig
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