Gesammelte Werke 1
Jahre unendlich überdrüssig geworden. Und zwar, wie mir schien, im wörtlichen Sinne: wie man einer Mücke oder einer aufdringlichen Fliege überdrüssig wird. Selbstverständlich konnte Bromberg unserer Sache nicht ernstlich schaden. Das stand nicht in seiner Macht. Aber dafür konnte er unablässig summen und brummen, lärmen und zirpen. Er konnte einen aus der Arbeit reißen, keine Ruhe geben und kleine, giftige Stiche austeilen. Er konnte die strikte Beachtung aller Formalitäten fordern und gleichzeitig die öffentliche Meinung gegen die Zunahme der Formalitäten mobilisieren. Mit einem Wort - er konnte einen in den Wahnsinn treiben. Mich würde nicht wundern, wenn sich herausstellte, dass Seine Exzellenz sich vor zwanzig Jahren in die blutigen Wirren auf dem Saraksch gestürzt hatte, nur um sich ein wenig von Bromberg zu erholen. Es tat mir für ihn auch deswegen leid, weil er ein prinzipientreuer und im höchsten Maße gerechter Mensch war und durchaus verstand, dass Brombergs Tun, abgesehen von seiner Form, eine positive soziale Funktion erfüllte: Es war eine Art gesellschaftliche Kontrolle - eine Kontrolle über der Kontrolle.
Was nun aber den verbohrten alten Bromberg anging, so war er bar jedes Gerechtigkeitssinns. Unsere Arbeit lehnte er grundsätzlich und unbesehen ab, hielt sie für schädlich, hasste sie aufrichtig und abgrundtief. Dabei waren die Formen, die dieser Hass annahm, derart dreist und Brombergs Manieren so unerträglich, dass Seine Exzellenz trotz all seiner Zurückhaltung und Selbstbeherrschung völlig das Gesicht verlor und sich in einen zänkischen, dummen und boshaften Schreihals verwandelte - und das anscheinend jedes Mal, wenn er Auge in Auge mit Bromberg zusammentraf. »Sie sind ein ignoranter Hirnfatzke!«, krächzte er mit überdrehter Stimme. »Sie schmarotzen sogar von den Irrtümern der Großen! Selbst sind Sie ja nicht imstande, auch nur einen Knopf zu erfinden,
wollen aber über die Zukunft der Wissenschaft urteilen! Sie bringen die Sache, die Sie um jeden Preis verteidigen wollen, nur in Misskredit, ergötzen sich an billigen Anekdoten …«
Man sah, dass die zwei Alten ziemlich lange nicht aufeinandergestoßen waren und die aufgestaute Menge Gift und Galle jetzt mit umso größerer Wut übereinander ausgossen. Der Anblick war sehr lehrreich, obwohl er in krassem Gegensatz stand zu der bekannten These, der Mensch sei von Natur aus gut und schon allein das Wort »Mensch« klinge und mache stolz. Sie ähnelten nicht Menschen, sondern zwei alten, zerfledderten Kampfhähnen. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass Seine Exzellenz ein alter Mann war, ja, ein Greis.
Das Schauspiel war sehr unschön, lieferte mir aber eine Unmenge wertvollster Informationen. Manche Anspielung verstand ich nicht - wenn etwa von längst abgeschlossenen und vergessenen Fällen die Rede war. Einige der erwähnten Geschichten aber waren mir gut bekannt. Etliches hörte und begriff ich zum ersten Mal.
Beispielsweise erfuhr ich, was es mit der Operation »Spiegel« auf sich hatte: So bezeichnete man die globalen, streng geheimen Manöver, die man vor vierzig Jahren zur Abwehr einer möglichen Aggression von außen (vermutlich einer Invasion der Wanderer ) abgehalten hatte. Von dieser Operation wusste buchstäblich nur eine Handvoll Leute. Die Millionen Menschen dagegen, die an den Manövern beteiligt gewesen waren, hatten davon nicht die leiseste Ahnung gehabt. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen waren, wie das bei Operationen globalen Ausmaßes fast immer der Fall ist, einige Menschen ums Leben gekommen. Einer der Leiter der Operation »Spiegel« und verantwortlich für ihre Geheimhaltung war damals Seine Exzellenz.
Ich erfuhr, wie der Fall »Missgeburt« entstanden war. Bekanntlich hatte Jonathan Pereira seine Arbeit auf dem Gebiet
der theoretischen Eugenik aus eigenem Entschluss eingestellt.
Der Weltrat legte daraufhin das gesamte Forschungsgebiet still und folgte dabei im Wesentlichen und vor allem der Empfehlung Pereiras. Wie sich nun herausstellte, hatte Bromberg davon Wind bekommen und sofort begeistert Einzelheiten von Pereiras Theorie herumerzählt - mit dem Resultat, dass fünf äußerst begabte Heißsporne aus dem Schweitzer-Laboratorium in Bamako ihr Experiment mit einer neuen Variante des Homo superior in Angriff nahmen und um ein Haar zu Ende geführt hätten.
Die Geschichte mit den Androiden war mir in groben Zügen schon vorher bekannt, vor allem weil sie als klassisches Beispiel eines
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