Gesammelte Werke 1
keine Menschenseele.
Ich gab mich nicht der Illusion hin zu glauben, ich sei unbemerkt geblieben. Natürlich wusste er, dass ich ihn nicht aus den Augen ließ, und sicher hatte er sich auch schon überlegt, wie er mich, falls nötig, loswerden konnte. Doch nicht das beschäftigte mich. Mich beunruhigte Seine Exzellenz. Ich wusste nicht, was er vorhatte.
Zuerst hatte er mir befohlen, Abalkin ausfindig zu machen, und sich dann mit ihm treffen wollen, um mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Zumindest war es anfangs so geplant gewesen, d. h. vor drei Tagen. Dann gewann er die Überzeugung,
dass Abalkin unweigerlich auf die Zünder stoßen würde. Und hatte diesen Hinterhalt gelegt. Von Vier-Augen-Gesprächen war da schon keine Rede mehr gewesen, sondern davon, »ihn zu fassen, sobald er dieses Tuch berührt«. Und: die Pistole - offensichtlich für den Fall, dass es nicht gelang, Abalkin zu fassen. Gut. Jetzt kommt Ljowa aber von selbst zu ihm. Und es ist deutlich zu sehen, dass Seine Exzellenz ihm nichts zu sagen hat. Kein Wunder: Denn er ist überzeugt, dass das Programm läuft; daher hat es keinen Sinn, mit Abalkin zu sprechen. (Ob das Programm tatsächlich lief? Darüber hatte ich meine eigene Meinung, aber die spielte jetzt keine Rolle. Vor allem musste ich herausfinden, was Seine Exzellenz im Schilde führte.)
Er lässt Abalkin also laufen, anstatt ihn gleich im Arbeitszimmer, an Ort und Stelle, festzusetzen und ihn den Ärzten und Psychologen zu übergeben. Lässt ihn einfach laufen. Über der Erde schwebt eine Gefahr. Um sie abzuwenden, hätte es genügt, Abalkin zu isolieren, was sich mit den einfachsten Mitteln hätte bewerkstelligen lassen. Damit wäre zumindest unter diesen Fall ein Schlussstrich gezogen. Seine Exzellenz aber lässt ihn laufen und macht sich auf den Weg ins Museum. Das kann nur eins bedeuten: Dass er sich vollkommen sicher ist, dass Abalkin in allernächster Zeit ebenfalls dort erscheinen wird. Wegen der Zünder. Weswegen sonst? (Dabei schien doch nichts einfacher, als dieses Bernsteinfutteral in ein ausrangiertes Raumschiff vom Typ »Gespenst« zu stecken und es bis ans Ende der Zeiten in den Subraum zu jagen. Aber das ging natürlich nicht, denn es wäre ja eine unumkehrbare Tat gewesen …)
Abalkin erscheint im Museum (oder verschafft sich gewaltsam Zutritt, weil ja Grischa Serossowin dort auf ihn wartet). Jedenfalls erscheint er im Museum und sieht dort wieder Seine Exzellenz. Was für ein Bild. Und dann findet das richtige Gespräch statt.
Seine Exzellenz wird ihn umbringen, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Gott im Himmel, dachte ich in Panik, Abalkin sitzt hier und spielt mit den Eichhörnchen, und in einer Stunde bringt Seine Exzellenz ihn um. Das ist ganz klar. Deshalb wartet Seine Exzellenz auch im Museum auf ihn - um sich diesen Film zu Ende anzusehen: um zu begreifen und mit eigenen Augen zu verfolgen, wie sich Abalkin, das Werkzeug der Wanderer , seinen Weg sucht, wie er das Bernsteinfutteral findet (mit den Augen? Nach dem Geruch? Mit dem sechsten Sinn?), wie er das Futteral öffnet, dann seinen Zünder wählt, und wie er beginnt, mit dem Zünder etwas zu tun - nicht mehr, denn in derselben Sekunde wird Seine Exzellenz auf den Abzug drücken, um kein weiteres Risiko mehr einzugehen.
Und ich sagte mir: Aber nein, das wird nicht geschehen …
Ich kann nicht behaupten, dass ich alle Konsequenzen meines Tuns im Voraus sorgfältig durchdacht hatte. Ehrlich gesagt, hatte ich sie überhaupt nicht durchdacht. Ich trat einfach auf die Allee hinaus und ging geradewegs auf Abalkin zu.
Als ich an ihn herantrat, blickte er mich von der Seite her an und wandte sich dann wieder ab. Ich setzte mich neben ihn.
»Ljowa«, sagte ich. »Reisen Sie ab. Sofort.«
»Ich hatte darum gebeten, in Ruhe gelassen zu werden«, sagte er mit unverändert leiser und ausdrucksloser Stimme.
»Man wird Sie nicht in Ruhe lassen. Dazu ist es zu spät, es ist zu viel geschehen. Niemand zweifelt an Ihnen persönlich, aber Sie sind für uns nicht länger Ljowa Abalkin. Den gibt es nicht mehr. Für uns sind Sie ein Werkzeug der Wanderer .«
»Und ihr seid für mich eine Bande von vor Angst Amok laufender Idioten.«
»Zugegeben«, sagte ich. »Und gerade darum sollten Sie sich möglichst schnell möglichst weit weg von hier begeben. Fliegen Sie auf die Pandora, Ljowa, bleiben Sie ein paar Monate
dort und beweisen Sie, dass Sie kein Programm in sich tragen.«
»Wozu?«, fragte er. »Wie komme ich
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