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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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dürfen in den Ruf von Ignoranten, Mystikern, abergläubischen Dummköpfen geraten. Eins aber wird uns nicht verziehen: wenn wir die Gefahr unterschätzt haben … Wenn es bei uns auf einmal
nach Schwefel stinkt, sollten wir keine Betrachtungen über Molekülfluktuationen anstellen, sondern haben die Pflicht, davon auszugehen, dass der Leibhaftige aufgetaucht ist. Wir haben die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn das hieße, die Produktion von Weihwasser in industriellem Maßstab zu organisieren. Und Gott sei gedankt, wenn sich herausstellt, dass es doch nur eine Fluktuation war und uns der ganze Weltrat mitsamt seinen Scholaren auslacht …« Er schob gereizt die Tasse von sich: »Ich kann diesen Kaffee nicht trinken, und essen kann ich schon den vierten Tag nichts.«
    »Exzellenz«, sagte ich. »Was reden Sie denn. Warum der Leibhaftige? Was können wir schließlich Schlechtes von den Wanderern sagen? Nehmen Sie nur die Operation ›Tote Welt‹. Dort haben sie die Bevölkerung eines ganzen Planeten gerettet! Einige Milliarden Menschen!«
    »Du versuchst zu beschwichtigen«, sagte Seine Exzellenz und lächelte düster. »Sie haben gar nicht die Bevölkerung gerettet. Den Planeten haben sie gerettet - vor der Bevölkerung. Und das mit Erfolg. Wo aber die Bevölkerung geblieben ist - das wissen wir nicht.«
    »Wieso den Planeten?«, fragte ich verwirrt.
    »Und wieso die Bevölkerung?«
    »Also gut«, sagte ich. »Aber darum geht es jetzt auch nicht. Angenommen, Sie haben Recht: ein Programm, Zünder, der Leibhaftige. Was könnte Abalkin uns anhaben? Er ist schließlich allein.«
    »Junge«, sagte Seine Exzellenz fast zärtlich. »Du denkst seit nicht mal einer halben Stunde darüber nach, ich aber zerbreche mir darüber schon seit vierzig Jahren den Kopf. Und nicht nur ich. Aber es ist uns bisher nichts eingefallen, das ist das Schlimmste. Und es wird uns auch nichts einfallen, denn die klügsten und erfahrensten von uns sind ja doch nur Menschen. Wir wissen nicht, was die Wanderer von uns wollen. Wir wissen nicht, was sie zu tun imstande sind. Und wir werden
es niemals erfahren. Unsere einzige Hoffnung ist, dass wir bei unseren wilden, ungeplanten Aktionen immer wieder Schritte tun werden, die sie nicht vorhergesehen haben. Sie können nicht alles vorhergesehen haben. Das kann niemand. Und dennoch ertappe ich mich jedes Mal, wenn ich mich zu einer Handlung entscheide, bei dem Gedanken, dass sie genau das erwartet haben und ich es deshalb nicht tun darf. So weit ist es mit mir gekommen, dass ich alter Dummkopf froh bin über die Entscheidung, den verdammten Sarkophag nicht gleich am ersten Tag vernichtet zu haben. Denn die Tagoraner haben es getan - und schau sie dir jetzt an! Diese furchtbare Sackgasse, in der sie stecken. Vielleicht ist es die Folge dieses sehr vernünftigen, rationalen Schritts, den sie vor anderthalb Jahrhunderten unternommen haben. Andererseits empfinden sie selbst das ja keineswegs so. Eine Sackgasse ist es nur aus unserer, der menschlichen Sicht! Von ihrem Standpunkt aus blühen und gedeihen sie und sind zweifellos der Ansicht, dass sie das ihrer rechtzeitigen, radikalen Entscheidung zu verdanken haben. Oder nehmen wir unseren Entschluss, den Amok laufenden Abalkin nicht an die Zünder zu lassen. Aber vielleicht haben sie genau das von uns erwartet?«
    Er legte den kahlen Schädel in die Hände und schüttelte den Kopf.
    »Wir sind alle müde, Mak«, sagte er. »Wie müde wir alle sind! Wir können schon gar nicht mehr über dieses Thema nachdenken. Vor Müdigkeit werden wir leichtsinnig und sagen uns immer öfter: ›Es wird schon gutgehen!‹ Früher war Gorbowski in der Minderheit, jetzt aber haben siebzig Prozent der Kommission seine Hypothese angenommen. ›Ein Käfer im Ameisenhaufen‹ … Ach, wie schön das wäre! Wie gern man daran glauben möchte! Dass kluge Wesen aus rein wissenschaftlicher Neugier einen Käfer in einen Ameisenhaufen gesetzt haben und jetzt eifrig alle Nuancen der Ameisenpsychologie beobachten, alle Feinheiten ihrer sozialen Organisation.
Die Ameisen jedoch sind zu Tode erschrocken; sie laufen aufgeregt hin und her, sorgen sich und sind bereit, ihr Leben für den heimatlichen Haufen hinzugeben - die Ärmsten haben ja keine Ahnung, dass der Käfer am Ende aus dem Haufen kriechen und seiner Wege gehen wird, ohne den Ameisen das Geringste zuleide getan zu haben. Kannst du dir das vorstellen, Mak? Nicht das geringste Leid! Regt euch nicht auf, Ameisen! Alles

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