Gesammelte Werke 1
bedeuteten die Ereignisse, von denen hier die Rede sein wird, das Ende einer ganzen Epoche im kosmischen Selbstverständnis der Menschheit. Anfangs schien es sogar, als eröffneten sich damit völlig neue Perspektiven, die zuvor nur theoretisch betrachtet worden waren. Ich war Zeuge, Teilnehmer und in gewisser Weise sogar Initiator dieser Ereignisse. Daher verwundert es nicht, dass sich die Gruppe »Menten« in den letzten Jahren immer wieder mit entsprechenden Anfragen an mich wandte - mit offiziellen und inoffiziellen Bitten, die Patenschaft für ihre Arbeiten zu übernehmen, oder mit Appellen an meine Bürgerpflichten.
Den Aufgaben und Zielen der Gruppe »Menten« brachte ich von Anfang an Verständnis entgegen, habe aber nie ein Hehl aus meiner Skepsis gemacht, was ihre Erfolgschancen angeht. Zudem war ich sicher, dass die Unterlagen und Erkenntnisse, über die ich persönlich verfüge, der Gruppe »Menten« nicht im Geringsten von Nutzen sein würden. Daher bin ich jeglicher Teilnahme an ihrer Arbeit bislang ausgewichen.
Dann aber erhielt ich den Brief Maja Glumowas und hatte nun aus eher privaten Gründen das dringende Bedürfnis, alles, was mir über die ersten Tage der Großen Offenbarung bekannt war, zusammenzutragen und es für die Menschen, die sich dafür interessieren mochten, aufzuschreiben. Als Große Offenbarung bezeichnet man für gewöhnlich diesen Sturm von Diskussionen und Befürchtungen, von Unruhe, Streit, Aufruhr und großem Erstaunen, der auf die Ereignisse, von denen hier die Rede sein wird, folgte.
Ich habe den letzten Absatz noch einmal durchgelesen und muss mich sogleich korrigieren. Erstens werde ich hier natürlich nicht annähernd über alles berichten, was mir bekannt ist. Manche Unterlagen sind zu speziell, um sie hier darlegen zu können; einige Namen möchte ich aus ethischen Gründen
nicht preisgeben, und ich werde darauf verzichten, bestimmte Verfahrensweisen zu erwähnen, die mit meiner damaligen Tätigkeit als Leiter der Abteilung für Besondere Vorkommnisse (BV) der Kommission für Kontrolle (KomKon 2) zusammenhängen.
Zweitens waren die Ereignisse des Jahres’99 streng genommen gar nicht die ersten Tage der Großen Offenbarung, sondern - im Gegenteil - ihre letzten. Ebendarum ist die Große Offenbarung heute nur noch Gegenstand historischer Forschungen. Die Mitarbeiter der Gruppe »Menten« aber können oder wollen das nicht verstehen - trotz all meiner Bemühungen, es ihnen begreiflich zu machen. Vielleicht war ich aber auch nicht beharrlich genug … Man wird alt.
Nun zu Maja Glumowas Sohn - Toivo Glumow, dessen Persönlichkeit bei den Mitarbeitern der Gruppe »Menten« ein ganz besonderes Interesse weckt. Das verstehe ich und habe ihn deswegen zur Hauptfigur meiner Memoiren gemacht.
Aber natürlich nicht nur deswegen. Ja, nicht einmal hauptsächlich deswegen. Denn wann immer ich an jene Tage denke und was immer mir dabei einfällt - in meiner Erinnerung taucht sofort Toivo Glumow auf. Ich sehe sein schmales, junges und immerzu ernstes Gesicht vor mir; sehe seine wasserklaren, grauen Augen, die von den langen, hellen Wimpern halb verdeckt werden. Ich höre seine wie mit Absicht langsam dahingesprochenen Worte, fühle das stumme, hilflose, und doch unerbittliche Drängen, das von ihm ausging wie ein tonloser Schrei: »Was ist? Warum unternimmst du nichts? Befiehl, befiehl doch endlich!« Oder aber umgekehrt: Kommt mir Toivo Glumow in den Sinn, in welchem Zusammenhang auch immer, sofort erwachen »die bösen Hunde der Erinnerung«: der ganze Schrecken jener Tage, die Ohnmacht und Verzweiflung, die ich damals erlebte - allein, denn es gab niemanden, mit dem ich es hätte teilen können.
Die Grundlage meiner Memoiren bilden Dokumente: In der Regel sind es Routineberichte und -meldungen meiner Inspektoren oder offizielle Schriftwechsel, die ich hier vor allem deshalb anführe, um die Atmosphäre jener Zeit wiederzugeben. Ein gründlicher und sachkundiger Leser wird aber sofort bemerken, dass eine Reihe von Dokumenten, die zur Sache gehören, in den Memoiren fehlen, während man auf andere, die aufgenommen wurden, genauso gut hätte verzichten können. Ich möchte dieser Kritik zuvorkommen und anmerken, dass ich die Materialien nach bestimmten Kriterien zusammengestellt habe. Erläutern möchte ich diese allerdings nicht und halte das auch nicht für notwendig.
Einen erheblichen Teil des Textes machen die sogenannten Rekonstruktionskapitel aus. Sie entstammen meiner
Weitere Kostenlose Bücher