Gesammelte Werke 1
helfen Sie ihr …«
Die Zunge gehorchte mir kaum. Die Leute waren verblüfft, ja sprachlos, und in der eingetretenen Stille schlug ich mich zum Gleiter durch, ließ mich über die Bordwand direkt auf den Sitz fallen und schaltete das Triebwerk ein. Ich hörte gerade noch einen erstaunten Protest: »Aber, erlauben Sie …!«
Und im nächsten Augenblick sah ich schon den Platz der Sterne unter mir, eingetaucht in das helle Licht der Morgensonne. Alles war genauso wie sechs Stunden zuvor. Wie in einem wiederkehrenden Traum lief ich von Saal zu Saal, von Korridor zu Korridor. Lavierte zwischen Ständen und Vitrinen. Zwischen Statuen und Attrappen, die sinnlosen Mechanismen ähnelten, und zwischen Mechanismen und Apparaten, die hässlichen Statuen ähnelten, nur dass jetzt alles in helles Sonnenlicht getaucht und ich allein war, dass mir die Beine zitterten und ich keine Angst hatte, zu spät zu kommen, weil ich schon wusste, dass ich zu spät käme.
Ich war schon zu spät gekommen.
Es knallte ein Schuss. Nicht besonders laut, es war ein trockener Schuss aus einer »Herzog«. Ich stockte mitten im Laufen. Aus. Vorbei. Aus letzter Kraft lief ich weiter. Vorne rechts huschte zwischen grotesken Formen eine Person in weißem Laborkittel vorbei. Grischa Serossowin, genannt Wassermann. War anscheinend auch zu spät gekommen.
Noch zwei Schüsse knallten, einer nach dem anderen … »Ljowa. Man wird Sie umbringen.« - »Das ist nicht so einfach …« Und dann stürzten Grischa und ich gleichzeitig in Maja Toivowna Glumowas Arbeitszimmer.
Lew Abalkin lag mitten im Zimmer auf dem Rücken. Seine Exzellenz, groß, gebeugt, die Pistole in der gesenkten Hand, näherte sich ihm vorsichtig mit kleinen Schritten. Von der anderen Seite ging, sich mit beiden Händen am Tisch festhaltend, Maja Glumowa auf Abalkin zu.
Ihr Gesicht war starr und vollkommen gleichgültig; ihre Augen aber schielten furchtbar und ganz unnatürlich zur Nasenwurzel hin.
Die Glatze Seiner Exzellenz und die leicht herabhängende, mir zugewandte Wange waren von großen Schweißtropfen bedeckt.
Im Zimmer stank es scharf und säuerlich nach verbranntem Pulver.
Und es war still.
Lew Abalkin lebte noch. Die Finger seiner rechten Hand kratzten schwach, aber unermüdlich auf dem Fußboden, als wollten sie die graue Scheibe des Zünders erreichen, die etwa einen Zentimeter entfernt lag. Es war die mit dem Zeichen in Form eines stilisierten kyrillischen »she«, beziehungsweise des japanischen Zeichens »sanju«.
Ich trat auf Abalkin zu und hockte mich neben ihn auf den Boden. (Seine Exzellenz rief mir irgendeine Warnung zu.) Abalkin blickte aus glasigen Augen zur Decke. Sein Gesicht
war wie vorhin mit grauen Flecken überzogen, sein Mund blutig. Ich berührte ihn an der Schulter. Der blutige Mund zuckte, und er sagte vor sich hin: »Ein Mann stand am Tor, die Tiere davor …«
»Ljowa«, rief ich.
»Ein Mann stand am Tor, die Tiere davor«, wiederholte er beharrlich. »Die Tiere …«
Und da begann Maja Toivowna Glumowa zu schreien.
DIE WELLEN ERSTICKEN DEN WIND
»Verstehen bedeutet vereinfachen.«
D. Strogow
Einführung
Ich heiße Maxim Kammerer. Ich bin neunundachtzig Jahre alt.
Vor langer Zeit einmal las ich einen Roman, der auf ebendiese Weise begann. Und ich weiß noch, wie ich damals dachte, dass ich - würde ich später einmal meine Memoiren zu schreiben haben - genau so damit beginnen wollte. Doch handelt es sich hier nicht um Memoiren im eigentlichen Sinne … Und am Anfang sollte ein Brief stehen, den ich vor ungefähr einem Jahr erhielt.
Nowgorod, den 13. Juni "25
Kammerer, sicher haben Sie die berüchtigten »Fünf Biografien des Jahrhunderts« gelesen. Bitte helfen Sie mir herauszufinden, wer sich hinter den Pseudonymen P. Soroka und E. Braun verbirgt. Ihnen wird das vermutlich leichter fallen als mir.
M. Glumowa
Ich habe diesen Brief nicht beantwortet, weil es mir nicht gelang, die wirklichen Namen der Autoren festzustellen. Ich fand nur heraus, dass P. Soroka und E. Braun - wie zu erwarten - prominente Mitarbeiter der Gruppe »Menten« am Institut für kosmische Geschichtsforschung (IKGF) waren.
Ich konnte ohne Mühe nachfühlen, was Maja Toivowna Glumowa empfunden hatte, als sie die Biografie ihres Sohnes in der Version von P. Soroka und E. Braun las. Und mir wurde klar, dass ich mich in dieser Sache äußern muss.
Also habe ich diese Memoiren geschrieben.
Aus der Sicht eines unbefangenen, vor allem eines jungen Lesers
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