Gesammelte Werke 1
musste nur achtgeben und verstehen, nach
welchen Regeln die Straße überquert wurde, und schon verschwand man in der Menge und hätte sich ewig so weiterbewegen können, ohne die geringste Aufmerksamkeit zu erregen. Wahrscheinlich war diese Welt sehr kompliziert und wurde von unzähligen Gesetzen gesteuert; doch eins davon - und zwar das wichtigste - hatte Maxim schon für sich erkannt: Tu das, was alle tun, und genauso, wie sie es tun. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte Maxim so sein wie alle anderen.
Manchmal sah er Leute, die sich nicht so verhielten wie die Menge, und diese Leute erregten heftigen Widerwillen in ihm: Sie drängten sich gegen den Strom, torkelten, klammerten sich an Passanten fest, stolperten und fielen. Es ging ein unerwarteter, widerlicher Geruch von ihnen aus; manche blieben einfach der Länge nach an einer Wand im Regen liegen. Die Passanten machten einen Bogen um sie und rührten sie nicht an.
Und Maxim verhielt sich wie alle anderen. Mit der Menge stürzte er in die großen öffentlichen Warenlager, die sich unter schmutzigen Glasdächern befanden, und mit der Menge verließ er sie wieder. Wie alle übrigen fuhr er unter die Erde, um sich in überfüllte, laut polternde Elektrozüge zu zwängen, fuhr irgendwohin und wurde dann wieder vom Menschenstrom bis an die Oberfläche getrieben, auf andere Straßen, die aber den vorherigen aufs Haar glichen. Wenn sich die Menschenströme teilten, entschied sich Maxim für einen und ließ sich mittragen.
Dann kam der Abend. Die Straßenlampen erglommen, aber sie hingen hoch und leuchteten nur schwach; ihr Schein verlor sich nahezu in der Dunkelheit. Auf den großen Straßen wurde es plötzlich noch enger. Maxim floh vor dem Gedränge und fand sich schließlich in einer halbleeren, halbdunklen Nebenstraße wieder. Hier nun wurde ihm klar, dass er für diesen Tag genug hatte, und er blieb stehen.
Er sah drei gold schimmernde Kugeln, eine flackernde blaue Schrift aus Leuchtstoffröhren und eine Tür, die in ein Souterrain führte. Er wusste schon, dass drei goldfarbene Kugeln auf einen Ort hinwiesen, an dem es zu essen gab. Also ging er die ausgetretenen Stufen hinunter und blickte von der Schwelle aus in einen kleinen, niedrigen Raum: Es standen etwa zehn leere Tischchen darin und ein gläsernes, vom Licht angestrahltes Büfett voller Flaschen mit bunt schimmernden Flüssigkeiten; auf dem Boden lag eine dicke Schicht sauberer Sägespäne. Die Gaststätte war fast leer. Nur hinter dem vernickelten Tresen neben dem Büfett hantierte langsam und gemächlich eine alte Frau, die einen weißen Kittel mit hochgekrempelten Ärmeln trug. Und etwas weiter, an einem runden Tischchen, saß ein kleiner, kräftiger Mann mit blassem, quadratischem Gesicht und dickem schwarzem Schnurrbart.
Hier war niemand, der schrie, umhereilte oder den Rauch von Drogen ausstieß. Maxim trat also ein, wählte einen Tisch in einer Nische, abseits vom Büfett, und setzte sich. Die Frau hinter der Theke blickte in seine Richtung und rief etwas mit lauter, heiserer Stimme. Der Schnurrbärtige beäugte Maxim ebenfalls, wandte sich dann ab, griff nach dem vor ihm stehenden hohen Glas, nippte an seinem durchsichtigen Inhalt und stellte es wieder vor sich hin. Irgendwo schlug eine Tür, und ein junges, hübsches Mädchen in weißer Spitzenschürze kam herein, blickte sich suchend um, trat zu Maxims Tisch, stützte ihre Finger darauf und schaute dann über seinen Kopf hinweg. Sie hatte reine, zarte Haut, einen leichten Flaum über der Oberlippe und wunderschöne graue Augen. Maxim tippte sich höflich mit dem Finger an die Nasenspitze und sagte: »Maxim.«
Nun warf ihm das Mädchen einen verwunderten Blick zu, so als hätte sie ihn gerade erst bemerkt. Sie war so hübsch, dass Maxim sie unwillkürlich anlächeln musste. Da begann auch sie zu lächeln, wies auf ihre Nase und erwiderte: »Rada.«
»Gut«, sagte Maxim. »Abendessen.«
Sie nickte und stellte eine Frage. Maxim nickte auch, für alle Fälle. Lächelnd blickte er ihr nach - sie war leicht und schlank. Es tat wohl, daran erinnert zu werden, dass auch auf dieser Welt schöne Menschen lebten.
Die alte Frau gab einen langen mürrischen Satz von sich und bückte sich hinter dem Tresen nieder. Maxim fiel auf, dass Tresen, Schranken und Absperrungen hier anscheinend sehr beliebt waren, denn es gab sie überall, so als läge immer eine gewisse Aggression in der Luft, als müsse man sich schützen … In dem Augenblick bemerkte
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