Gesammelte Werke 1
Personenwagen voran, voll besetzt mit wild gestikulierenden Männern und Frauen - mit hübschen, attraktiven Frauen übrigens, nicht solchen wie Fischi. Noch weiter links rumpelte funkensprühend eine Art elektrischer Zug vorbei, vollgepfropft mit Passagieren, die in Trauben aus allen Türen zu quellen schienen. Rechter Hand befand sich ein Gehweg - ein einfacher Asphaltstreifen, der für den Verkehr gesperrt war und über den sich ein dichter Strom vorwiegend grau oder schwarz gekleideter Passanten wälzte. Diese überholten sich gegenseitig, stießen zusammen, wichen einander aus oder drängelten; liefen immerzu in geöffnete, hell erleuchtete Türen und mischten sich unter die Menschenmenge, die hinter den riesigen, beschlagenen Schaufenstern wimmelte. Zuweilen ballten sie sich zu großen Gruppen zusammen, bildeten Staus und Strudel und reckten die Hälse, um irgendwohin einen Blick zu erhaschen. Viele von diesen Menschen hatten bleiche, ausgemergelte Gesichter wie Fischi, fast alle waren hässlich, krankhaft dürr, linkisch und unbeholfen. Und dennoch machten sie einen zufriedenen Eindruck: Sie lachten viel, verhielten sich ungezwungen, ihre Augen leuchteten, und überall hörte man lebhafte, gut gelaunte Stimmen. Es scheint doch eine glückliche Welt zu sein, dachte Maxim. Die Straßen sind zwar schmutzig, aber nicht voller Unrat. Auch die Häuser strahlen Lebensfreude aus: Fast in sämtlichen Fenstern brennt Licht an diesem trüben Tag, und überall sieht man beleuchtete Reklameschilder. An elektrischem Strom kann es also nicht mangeln. Und was die eingefallenen Gesichter betrifft - kann man bei diesem Lärmpegel und einer solchen Luftverschmutzung anderes erwarten? Ihre Welt ist ärmlich, ungesund
und missorganisiert - trotzdem aber hat man nicht das Gefühl, dass die Menschen unglücklich sind.
Doch plötzlich änderte sich etwas auf der Straße. Erregte Rufe erschallten. Ein Mann kletterte auf einen Laternenmast, hängte sich daran und brüllte etwas auf die Straße herab, dabei fuchtelte er wild mit der freien Hand. Die Menschen auf dem Gehweg fingen an zu singen. Sie blieben stehen, rissen sich die Kopfbedeckungen herunter, verdrehten die Augen und sangen, ja, schrien sich die Kehlen heiser. Dabei erhoben sie ihre schmalen Gesichter zu den riesigen bunten Schriftzügen, die quer über der Straße aufgeleuchtet waren.
»Massaraksch …«, zischte Fank und sein Wagen kam ins Schleudern.
Maxim sah ihn an. Fank war totenbleich. Seine Züge hatten sich verzerrt. Kopfschüttelnd nahm er eine Hand vom Lenkrad und starrte auf seine Uhr. »Massaraksch …«, stöhnte er, dann noch einige Worte, von denen Maxim nur »verstehe ich nicht« kannte.
Fank schaute über seine Schulter nach hinten und sein Gesicht verkrampfte sich noch mehr. Maxim blickte sich ebenfalls um, entdeckte jedoch nichts Besonderes, nur einen grellgelben, geschlossenen Kastenwagen.
Das Geschrei auf der Straße war unerträglich geworden, doch Maxim achtete nicht weiter darauf. Fank verlor offensichtlich gerade das Bewusstsein, der Wagen aber fuhr weiter. Dann bremste der Laster vor ihnen, seine Bremslichter leuchteten auf, die beschmierte Rückwand rauschte heran, dann ein abscheuliches Knirschen, ein dumpfer Schlag, und die verbeulte Motorhaube von Fanks Wagen stand senkrecht nach oben.
»Fank!«, rief Maxim. »Fank! Nicht nötig!«
Fank war zusammengesunken, hatte Arme und Kopf auf das ovale Lenkrad gestützt und stöhnte laut. Ringsum kreischende Bremsen und wildes Hupen - der Verkehr kam zum
Erliegen. Maxim rüttelte Fank an der Schulter, ließ dann von ihm ab, öffnete die Tür, lehnte sich weit hinaus und schrie auf Russisch: »Hierher! Ihm ist schlecht!«
Neben ihrem Wagen sammelte sich nun eine laut singende Menge. Die Herandrängenden gestikulierten wild mit den Händen, ballten die emporgereckten Fäuste, und ihre nach oben verdrehten, blutunterlaufenen Augen schienen aus den Höhlen hervorzuquellen. Maxim wusste nicht, was er davon zu halten hatte. Regten sich die Leute über den Unfall auf? Gaben sie sich besinnungsloser Freude hin? Oder drohten sie jemandem? Es war sinnlos, ihnen etwas zuzurufen, denn man verstand sein eigenes Wort nicht, und so wandte sich Maxim wieder Fank zu. Der hatte sich inzwischen zurückgelehnt, den Kopf in den Nacken gelegt und massierte sich mit aller Kraft Schläfen, Wangen und Schädel. Auf seinen Lippen schäumte Speichel. Ihn müssen unerträgliche Schmerzen quälen, dachte Maxim, packte Fank
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