Gesammelte Werke 1
Musiker zu verwandeln?«
»Vielleicht ist es aber einfach eine statistische Fluktuation!«
»Vielleicht. Das ist es ja gerade - dass wir es nicht wissen. Aber schau, wohin es dich verschlagen hat. Und jetzt sag mir doch bitte: was ist an deiner Erklärung besser als an unserer? Eine statistische Fluktuation, per definitionem unvorhersagbar und unlenkbar. Oder die Wanderer , die natürlich auch nicht ohne sind, bei denen man aber - zumindest im Prinzip - hoffen kann, dass man sie einmal zu fassen bekommt. Ich verstehe, ›statistische Fluktuation‹ klingt weitaus seriöser, wissenschaftlicher, neutraler - nicht wie diese gemeinen, jedem schon zum Halse heraushängenden, billig-romantischen und banal-legendären …«
»Warte, mach dich nicht lustig, bitte«, sagte Assja. »Niemand leugnet deine Wanderer . Davon rede ich doch gar nicht. Du hast mich ganz aus dem Konzept gebracht. Das machst du immer! Mich genauso wie deinen Maxim, und dann läufst du geknickt herum und willst, dass man dich tröstet. Was ich sagen wollte: Gut, mögen sich also die Wanderer in unser Leben einmischen. Aber darum geht es nicht. Wieso aber ist das schlecht? Das ist es, was ich dich frage! Warum macht ihr aus ihnen Schreckgespenster? Das ist, was ich nicht verstehen kann! Niemand versteht das. Warum es zum Beispiel positiv ist, wenn du die Geschichte anderer Welten begradigst; wenn aber andere sich anschicken deine Geschichte zu begradigen … Schließlich weiß heute jedes Kind, dass eine Superintelligenz prinzipiell gut ist!«
»Die Superintelligenz ist supergut«, sagte Toivo.
»Und? Dann erst recht!«
»Nein«, sagte Toivo. »Kein ›dann erst recht‹. Wir wissen, was ›gut‹ ist, obwohl auch das nicht ganz sicher ist. Was aber supergut ist …«
Assja schlug sich wieder aufs Knie. »Ich verstehe es nicht! Unbegreiflich! Woher nimmst du die Annahme einer Bedrohung? Erklär es mir, bring es mir bei!«
»Ihr alle versteht unseren Standpunkt völlig falsch«, sagte Toivo schon recht ärgerlich. »Niemand glaubt, dass die Wanderer uns Menschen Böses wollen. Das ist in der Tat sehr unwahrscheinlich. Wir fürchten etwas anderes, etwas ganz anderes! Wir fürchten, dass sie hier Gutes tun werden - und zwar, wie sie es verstehen!«
»Das Gute ist immer gut!«, erklärte Assja nachdrücklich.
»Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Oder weißt du es etwa wirklich nicht? Aber ich habe es dir doch erklärt. Ich war ganze drei Jahre Progressor, ich habe Gutes getan, nur Gutes, nichts als Gutes. Aber bei Gott, wie haben sie mich gehasst, diese Leute! Und auf ihre Weise hatten sie Recht. Denn da waren Götter gekommen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Niemand hatte sie gerufen, aber sie haben sich hereingedrängt und angefangen, Gutes zu tun. Eben jenes Gute, das immer gut ist. Und sie haben es heimlich getan, weil sie von vorneherein wussten, dass die Sterblichen ihre Ziele nicht begreifen würden. Und wenn sie sie begriffen, würden sie sie nicht akzeptieren. Das sind die ethischen und moralischen Gegebenheiten in dieser verfluchten Situation! Der hörige Feudalbauer in Arkanar versteht nicht, was Kommunismus ist. Der kluge Bourgeois dreihundert Jahre später versteht es und schreckt entsetzt davor zurück. Das sind Binsenweisheiten, aber wir sind nicht imstande, sie auf uns selbst anzuwenden. Warum? Weil wir keine Vorstellung davon haben, was uns die Wanderer anbieten werden. Die Analogie funktioniert nicht! Doch zwei Dinge weiß ich. Erstens: Sie kamen ungebeten. Zweitens: Sie kamen heimlich. Und das heißt, sie gehen zum einen davon aus, dass sie besser wissen als wir, was gut für uns ist. Und zum anderen sind sie von vorneherein davon überzeugt, dass wir ihre Ziele entweder nicht begreifen oder nicht akzeptieren werden. Ich weiß nicht, wie du dazu stehst, aber ich will das nicht. Ich will-es-nicht! Und basta!«, sagte er entschieden.
»Genug davon. Ich bin ein müder, unfreundlicher, besorgter Mensch, der sich die Last großer Verantwortung aufgeladen hat. Ich habe das Sikorsky-Syndrom, bin ein Psychopath und verdächtige alles und jeden. Ich liebe niemanden, bin geplagt, unnormal, ein Monomane, man muss mich schonen, Mitleid mit mir haben, auf Zehenspitzen um mich herumgehen, mich auf die Schulter küssen, mit Scherzen erfreuen. Und mit Tee. Mein Gott, bekomme ich denn heute wirklich keinen Tee?«
Ohne ein Wort zu sagen, sprang Assja vom Fensterbrett und ging Tee kochen. Toivo legte sich aufs Sofa. Durch das Fenster drang
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