Gesammelte Werke 1
taktlose.«
»Also die letzte: Welche Rolle spielen die Raketenabwehrtürme? Inwiefern stören sie Sie?«
Alle lachten unangenehm.
»So ein Esel, aber eine ›Basis‹ will er«, murrte der Förster.
»Das ist keine Raketenabwehr«, begann der Doktor. »Es ist unser Fluch. Sie haben eine Strahlung entwickelt, mit deren Hilfe sie den Begriff des ›Entartet-Seins‹ in die Welt setzten und verbreiteten. Die meisten Leute - auch Sie beispielsweise - bemerken diese Strahlung gar nicht. Eine kleine Gruppe von Menschen aber macht durch Besonderheiten ihres Organismus bei der Bestrahlung höllische Schmerzen durch. Manchen von uns, sehr wenigen, ist dieser Schmerz erträglich, andere halten ihn kaum aus und schreien, wieder andere verlieren das Bewusstsein, und einige kommen um den Verstand und sterben. Die Türme sind keine Raketenabwehr - so etwas existiert gar nicht und wird auch nicht gebraucht, weil weder Honti noch Pandea über ballistische Raketen oder eine Luftwaffe verfügen. Und überhaupt haben die andere Sorgen: Dort tobt schon im vierten Jahr ein Bürgerkrieg. Die Türme sind also Emitter. Zweimal täglich werden sie überall im Land eingeschaltet, und dann fängt man uns, wenn wir vor Schmerzen hilflos daliegen. Hinzu kommen die Anlagen mit lokaler Wirkung auf den Streifenwagen, plus Selbstfahremitter, plus die unregelmäßigen Strahlenschübe bei Nacht. Wir können uns nirgendwo verbergen, Schutzschirme gibt es nicht. Wir werden verrückt, erschießen uns, stellen vor Verzweiflung Dummheiten an, sterben aus.«
Der Doktor verstummte, griff nach dem Becher und trank ihn in einem Zug leer. Dann rauchte er, grimmig dreinschauend, seine Pfeife an. In seinem Gesicht zuckte es.
»Früher lebten wir gut, waren glücklich«, sagte der Förster traurig. »Diese Dreckskerle«, ergänzte er nach kurzem Schweigen.
»Es ist zwecklos, ihm das zu erzählen«, meldete sich plötzlich Memo zu Wort. »Er kennt es ja nicht. Er hat keine Ahnung, was es bedeutet, Tag für Tag die Strahlung zu erwarten.«
»Gut«, erklärte der Breitschultrige. »Wenn er keine Ahnung hat, brauchen wir nicht weiter darüber zu reden. Amsel hat sich für ihn ausgesprochen. Wer ist noch für ihn - oder dagegen?«
Der Förster öffnete seinen Mund, doch Ordi kam ihm zuvor: »Ich will noch erklären, warum ich für ihn bin. Erstens glaube ich ihm. Das habe ich bereits gesagt und ist vielleicht nicht so wichtig, weil es nur mich betrifft. Aber der Mann verfügt zudem über Fähigkeiten, die uns allen nützen könnten. Er ist in der Lage, nicht nur die eigenen, sondern auch fremde Wunden zu heilen. Viel besser als Sie, Doktor - nehmen Sie es nicht persönlich.«
»Was bin ich schon für ein Arzt«, erwiderte der Doktor. »Ich habe bloß Gerichtsmedizin …«
»Aber das ist nicht alles«, fuhr Ordi fort. »Er kann einem den Schmerz nehmen.«
»Wie denn?«, fragte der Förster.
»Ich weiß nicht, wie er es macht. Er massiert die Schläfen, flüstert, und der Schmerz vergeht. Zweimal hat es mich bei meiner Mutter erwischt, und beide Male hat er mir geholfen. Beim ersten Mal weniger, doch immerhin habe ich nicht wie sonst das Bewusstsein verloren. Beim zweiten Mal waren die Schmerzen ganz weg.«
Augenblicklich veränderte sich alles. Waren sie eben noch Richter, die, wie ihnen schien, über sein Leben zu entscheiden hatten, verwandelten sie sich nun in zerquälte, dem Untergang geweihte Menschen, die auf einmal Hoffnung spürten. Sie sahen ihn an, als erwarteten sie, dass er gleich den Alb von ihnen nähme, der sie seit vielen Jahren jeden Tag und jede Nacht peinigte. Auch gut, dachte Maxim. Wenigstens soll ich hier nicht töten, sondern heilen. Aber aus irgendeinem Grund machte ihn dieser Gedanke nicht froh. Die Türme, dachte er. Was für eine Teufelei. Darauf muss man erst einmal kommen. Man muss wahnsinnig sein, ein Sadist, um so etwas zu erfinden.
»Können Sie es wirklich?«, fragte der Doktor.
»Was?«
»Den Schmerz nehmen.«
»Ja.«
»Wie?«
»Das kann ich nicht erklären. Mir fehlen die Worte, und Ihnen die Kenntnisse. Ich verstehe nur nicht: Haben Sie denn keine Medikamente, irgendwelche schmerzstillenden Präparate?«
»Dagegen hilft keine Medizin. Höchstens in tödlicher Dosis.«
»Hören Sie«, sagte Maxim. »Ich bin natürlich bereit, Ihnen zu helfen. Zumindest werde ich mich bemühen. Aber das ist keine Lösung. Man muss nach einem massenwirksamen Mittel suchen. Haben Sie Chemiker?«
»Wir haben alles.« Der
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