Gesammelte Werke 1
zweiundzwanzig Uhr …«
»Massaraksch!«, knurrte Memo. »Eine schöne Bescherung!«
»Unterbrechen Sie mich nicht.« Der General sah ihn streng an. »Pünktlich zehn Uhr beginnt die Abendemission. Einige Sekunden vorher schluckt jeder von uns zwei solche Tabletten. Weiter verläuft alles nach dem alten Plan, mit einer Ausnahme: Amsel wirft die Granaten mit mir zusammen. Die Minen hat Mak, alle. Er sprengt den Turm allein.«
»Was denn, wie denn …« Der Förster starrte auf die Karte. »Ich verstehe das nicht. Um zehn ist doch Bestrahlung. Wenn ich mich hinlege, dann - entschuldigt! - steh ich nicht wieder auf, wie ein Stein werde ich da liegen. Nicht mal hochprügeln werdet ihr mich können, entschuldigt schon …«
»Moment!«, unterbrach ihn der General. »Ich wiederhole noch einmal: Zehn Sekunden vor zehn schluckt jeder zwei dieser Schmerztabletten. Verstehen Sie, Förster? Sie nehmen Schmerztabletten. Und um zehn …«
»Solche Pillen kenne ich.« Der Förster blieb skeptisch. »Zwei Minuten ist dir leichter, und danach verknotest du dich erst recht. Kennen wir, haben wir alles probiert.«
»Das ist ein neues Mittel«, sagte der General geduldig. »Es wirkt bis zu fünf Minuten. In der Zeit schaffen wir es, zum Bunker zu laufen und die Granaten zu werfen. Das Übrige besorgt Mak.«
Schweigen. Sie überlegten. Der Förster, etwas schwer von Begriff, kratzte sich am Kopf und biss sich auf die Unterlippe. Seiner Miene war abzulesen, wie es in ihm arbeitete, dann aber hörte er plötzlich mit dem Kratzen auf, blickte mit aufleuchtenden Augen in die Runde und schlug sich auf die Knie. Jetzt hatte er es verstanden. Der Förster war ein großartiger, herzensguter Mensch. Von Kopf bis Fuß hatte ihn das Leben gebeutelt, und trotzdem kannte er es noch immer nicht. Er
brauchte nichts und hatte keine Wünsche, er wollte nur, dass man ihn endlich in Ruhe ließe und er zurückkehren könnte zu seiner Familie. Den Krieg hatte er vom ersten bis zum letzten Tag im Schützengraben verbracht und mehr noch als die Atomraketen seinen Korporal gefürchtet: ein ebenso einfacher Kerl wie er, aber gemein und niederträchtig, ein richtiges Schwein. Maxim hatte der Förster ins Herz geschlossen; er war ihm unendlich dankbar, dass er seine alte Fistel am Unterschenkel kuriert hatte, und glaubte seitdem fest daran, solange Maxim in der Nähe sei, könne ihm nichts Böses geschehen. Einen ganzen Monat lang hatte Maxim nun in seinem Keller übernachtet, und jedes Mal, wenn sie sich schlafen legten, erzählte ihm der Förster ein Märchen, immer dasselbe, doch mit unterschiedlicher Pointe: ›Es lebte einmal eine Kröte im Sumpf, die war unglaublich dumm, und diese dumme Kröte hatte die Angewohnheit …‹ Maxim konnte sich den Förster gar nicht in blutige Händel verstrickt vorstellen, obwohl man ihm gesagt hatte, er sei ein gewandter, ja, unerbittlicher Kämpfer.
»Der neue Plan hat folgende Vorteile«, fuhr der General fort. »Erstens: Um diese Zeit erwartet man uns nicht. Das Überraschungsmoment. Zweitens ist die frühere Version alt, und es besteht die Gefahr, dass sie dem Gegner bekannt wurde. Jetzt aber können wir ihn überrumpeln, die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges ist größer.«
Der Grüne nickte die ganze Zeit über zustimmend. Sein Habichtgesicht strahlte vor Schadenfreude, seine geschickten langen Finger krümmten und streckten sich. Er liebte Überraschungen, das Risiko. Seine Vergangenheit war finster: Von Dieben ernährt, erzogen und geprügelt, war er selbst zum Dieb und Betrüger geworden, ins Gefängnis geraten und ausgebrochen - unerwartet und frech, wie alles, was er tat. Er hatte versucht, zu seiner Bande zurückzukehren, doch die Zeiten waren andere. Die ehemaligen Freunde duldeten keine
Entarteten mehr und wollten ihn denunzieren, er entkam und floh, versteckte sich in den Dörfern, bis ihn Gel Ketschef fand. Der Grüne war klug, ein Fantast. Die Erde dachte er sich flach, den Himmel starr, und dank seiner Unwissenheit, die sich mit ungezügelter Einbildungskraft paarte, war er der einzige Mensch auf der bewohnten Insel, der in Maxim anscheinend weder einen Bergbewohner (»Ich kenne diese Gebirgler, in allen Spielarten kenn ich sie«) noch eine Laune der Natur vermutete (»Von Natur sind wir alle gleich, ob wir nun im Knast sind oder in Freiheit«), sondern tatsächlich einen Ankömmling aus nicht vorstellbaren Räumen, etwa aus der Himmelsfeste. Offen hatte er darüber nie gesprochen, wohl aber
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