Gesammelte Werke 1
werden sie nicht schaffen, sie denken nicht einmal daran. Sie haben kein ökonomisches Programm, nichts haben sie außer Bajonetten, und sie wollen nichts als die Macht. Für uns ist das Wichtigste, dass sie uns vernichten wollen. Eigentlich kämpfen wir um unser Leben.« Der Doktor begann nervös seine Pfeife zu stopfen.
»Ich wollte niemanden kränken«, sagte Maxim. »Ich möchte es nur verstehen. Tyrannei, Machtgier … An sich hat das noch nicht viel zu besagen.« Gern hätte er dem Doktor die Grundlagen der Theorie historischer Gesetzmäßigkeiten erläutert, doch ihm fehlten die Worte. Ohnedies musste er manchmal ins Russische wechseln. »Lassen wir’s dabei bewenden. Doch Sie haben gesagt: eine gerechte Gesellschaft. Was ist das? Und was wollen Sie? Wonach streben Sie, außer der Erhaltung Ihres Lebens? Und wer sind Sie?«
In der Pfeife des Doktors knisterte es; stinkender Qualm füllte den Keller.
»Lasst mich mal«, hakte plötzlich der Förster ein. »Ich erkläre es ihm. Folgendes, guter Mann. Ich weiß nicht, wie es
bei euch in den Bergen ist, aber bei uns hier wollen die Leute leben. Was soll das - ›außer‹, sagt er, ›der Erhaltung Ihres Lebens‹. Vielleicht brauche ich ja nichts weiter. Du meinst, das ist zu wenig? Hat sich ja ein Held gefunden! Leb du erst mal im Keller, wenn du ein Haus hast, eine Frau, Familie. Wenn sich alle von dir lossagen. Hör bloß auf!«
»Warten Sie, Förster«, unterbrach ihn der Breitschultrige.
»Nein, er soll warten! Das ist mir der Richtige: ›Gesellschaft‹ will er, irgendeine ›Basis‹ …«
»Moment«, sagte nun der Doktor. »Sei nicht böse. Sieh mal, der Mann versteht doch nichts … Sehen Sie«, wandte er sich an Maxim, »unsere Bewegung ist sehr heterogen. Ein einheitliches politisches Programm haben wir nicht, können wir auch nicht haben. Wir alle töten, weil man uns tötet. Das muss man verstehen, und Sie werden es verstehen. Wir alle sind Todeskandidaten mit geringen Überlebenschancen. Und so wird alle Politik bei uns von der Biologie verdrängt. Hauptsache, überleben. Da ist einem nicht nach ›Basis‹ zumute. Sollten Sie also mit einem sozialen Programm hier erschienen sein, werden Sie nichts erreichen.«
»Worum geht es eigentlich?«, fragte Maxim.
»Man betrachtet uns als Entartete. Woher das kommt, weiß inzwischen keiner mehr. Doch zurzeit nützt es den Unbekannten Vätern, uns zu verfolgen: Es lenkt das Volk von den inneren Problemen ab, von der Korruption der Finanziers, die durch Rüstungsaufträge und beim Bau der Türme Geld scheffeln. Wenn es uns nicht gäbe, müssten uns die Unbekannten Väter wohl erfinden.«
»Das ist immerhin etwas«, erwiderte Maxim. »Wieder einmal steckt das Geld hinter allem. Und die Väter dienen ihm. Wem noch?«
»Die Väter dienen niemandem. Sie selber sind das Geld. Sie sind alles. Und dabei sind sie, nebenbei bemerkt, auch wieder nichts, weil sie anonym bleiben und sich ständig gegenseitig
auffressen … Mit Wildschwein müsste er reden können.« Der Doktor sah den Breitschultrigen an. »Sie würden eine gemeinsame Sprache finden.«
»Gut. Über die Väter unterhalte ich mich mit Wildschwein. Jetzt aber …«
»Mit Wildschwein können Sie sich nicht mehr unterhalten.« Memos Stimme klang boshaft. »Er wurde erschossen.«
»Das ist der Einarmige«, erläuterte Ordi. »Sie müssen sich an ihn erinnern.«
»Ich erinnere mich«, sagte Maxim. »Er wurde nicht erschossen. Sie haben ihn zur Zwangsarbeit verurteilt.«
Der Breitschultrige blickte auf. »Nicht möglich. Wildschwein? Zur Zwangsarbeit?«
»Ja. Gel Ketschef zum Tode, Wildschwein zur Zwangsarbeit, und einen anderen, der seinen Namen nicht nannte, griff sich der Zivilist. Anscheinend für die Abwehr.«
Wieder schwiegen sie. Der Doktor trank einen Schluck aus seinem Becher. Der Breitschultrige hatte den Kopf in die Hände gestützt. Bekümmert seufzend und voller Mitgefühl, blickte der Förster Ordi an. Die Lippen zusammengepresst, starrte sie auf den Tisch; sie litt, und Maxim bereute, dass er das Thema angeschnitten hatte. Leid breitete sich aus; nur Memo in seiner Ecke empfand weniger Schmerz als Furcht. So einem darf man kein Maschinengewehr geben, dachte Maxim flüchtig. Er wird uns noch alle erschießen.
»Nun gut«, murmelte der Breitschultrige. »Haben Sie weitere Fragen?«
»Ich habe noch viele Fragen«, antwortete Maxim langsam. »Doch ich fürchte, sie sind alle mehr oder weniger taktlos.«
»Dann stellen sie eben
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