Gesammelte Werke 1
reichte. Von jetzt an würde lieber er schießen.
»Ich glaube ihm.« Das war Ordi. »Zwar passt in seiner Geschichte nichts zueinander, doch liegt das einfach daran, dass er ein ungewöhnlicher Mensch ist. Solche Sachen erfindet
man nicht - es wäre gar zu ungeschickt. Könnte ich sie nicht glauben, würde ich ihn sofort erschießen. Er türmt ja eine Ungereimtheit auf die andere. Solche Provokateure gibt es nicht. Vielleicht ist er verrückt. Gut möglich. Aber er ist kein Spitzel. Ich stimme für ihn.«
»Danke, Amsel«, erwiderte der Breitschultrige. »Rede vorerst nicht weiter. Hat das Volksgesundheitsdepartement Sie untersucht?«, fragte er Maxim.
»Ja.«
»Wurden Sie für tauglich befunden?«
»Selbstverständlich.«
»Ohne Einschränkung?«
»Auf meiner Karte stand nur ›tauglich‹.«
»Was denken Sie über die Kämpfende Garde?«
»Jetzt denke ich, sie ist eine kopflose Waffe in jemandes Händen, am ehesten dieser berüchtigten Unbekannten Väter. Doch ich verstehe vieles noch nicht.«
»Und was denken Sie über die Unbekannten Väter?«
»Sie stehen wohl an der Spitze einer Militärdiktatur. Was ich über sie weiß, ist sehr widersprüchlich. Ihre Ziele sind vielleicht sogar lobenswert, aber die Mittel …« Maxim schüttelte den Kopf.
»Was denken Sie über die Entarteten?«
»Dieser Terminus scheint mir unzutreffend. Ich nehme an, sie sind Verschwörer. Meine Vorstellungen über ihre Absichten sind auch nur verschwommen. Aber die ›Entarteten‹, die mir bisher begegnet sind, haben mir gefallen. Sie wirkten ehrlich, und, wie soll ich es ausdrücken … nicht verdummt, sondern handelten bewusst.«
»So«, brummte der Breitschultrige. »Haben Sie manchmal diese Schmerzen?«
»Im Kopf? Nein, habe ich nicht.«
»Warum fragst du?«, mischte sich der Förster ein. »Hätte er welche, würde er nicht hier sitzen.«
»Ich will ja gerade herauskriegen, weshalb er hier sitzt«, entgegnete der Breitschultrige. »Warum sind Sie zu uns gekommen? Um mit uns zu kämpfen?«
Maxim schüttelte den Kopf.
»So würde ich es nicht nennen, das wäre gelogen. Ich möchte wissen und verstehen, was vor sich geht. Im Moment bin ich aber eher auf Ihrer Seite als auf der Seite der anderen. Doch auch über Sie weiß ich zu wenig.«
Die Versammelten blickten einander an.
»So läuft es bei uns aber nicht, mein Lieber«, sagte der Förster. »Bei uns gilt Folgendes: Entweder du gehörst zu uns, dann hier, nimm deine Waffe und geh kämpfen. Oder du gehörst nicht zu uns, dann werden wir dich … du verstehst … ins Gehirn, oder?«
Erneutes Schweigen. Der Doktor seufzte schwer und klopfte seine Pfeife an der Bank aus. »Ein seltener und schwieriger Fall«, erklärte er. »Ich schlage vor, dass er uns Fragen stellt. Sie haben doch Fragen, nicht wahr, Mak?«
»Deswegen bin ich hier«, bestätigte Maxim.
»Er hat viele Fragen.« Ordi lächelte. »Mutter ließ er keine Ruhe damit. Auch zu mir kam er ständig.«
»Fragen Sie«, sagte der Breitschultrige. »Sie, Doktor, werden antworten. Wir anderen hören zu.«
»Wer sind die Unbekannten Väter, und was wollen sie?«, begann Maxim.
Die Verschwörer wurden unruhig. So etwas hatten sie nicht erwartet.
»Die Unbekannten Väter« - der Doktor überlegte - »sind eine anonyme Gruppe von perfiden Intriganten - sozusagen die Reste der Putschistenpartei, die nach einem zwanzigjährigen Machtkampf zwischen Militärs, Finanziers und Politikern übrig geblieben sind. Sie verfolgen zwei Ziele: Erstens, an der Macht bleiben. Zweitens, durch diese Macht ein Maximum an Befriedigung für sich selbst erzielen - ebendarum
wollen sie an der Macht bleiben. Es gibt aber auch weniger üble Leute unter ihnen, die ihre Befriedigung aus dem Bewusstsein ziehen, Wohltäter des Volkes zu sein. Doch die meisten sind raffgierig, Sybariten, Sadisten, und allesamt sind sie machthungrig … Genügt das?«
»Nein«, entgegnete Maxim. »Sie haben mir ja nur gesagt, dass es Tyrannen sind, was ich ohnehin vermutete. Worin besteht ihr ökonomisches Programm? Ihre Ideologie? Was ist ihre Basis? Auf wen stützen sie sich?«
Die vier warfen einander Blicke zu. Der Förster starrte Maxim mit offenem Mund an.
»Ihr ökonomisches Programm …«, sagte der Doktor. »Sie verlangen zu viel von uns. Wir sind keine Theoretiker, wir sind Praktiker. Aber worauf sie sich stützen, kann ich Ihnen sagen. Auf Bajonette. Auf Unwissenheit. Auf die völlige Erschöpfung der Nation. Eine gerechte Gesellschaft
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