Gesammelte Werke 1
auf den Fersen, er atmete laut und pfeifend und umklammerte Maxims Gürtel.
Sie erreichten den Wald. Bäume versperrten den Weg, feuchte Zweige schlugen ihnen ins Gesicht. Maxim musste immer wieder ausweichen, Baumstümpfe überspringen. Es war
schwerer, als er gedacht hatte. Er war nicht mehr derselbe, auch die Luft war nicht die gewohnte - überhaupt: Nichts stimmte mehr, alles war falsch, unnötig und sinnlos. Sie hinterließen zerknickte Sträucher, eine Blutspur und ihren Geruch. Alle Wege sind längst abgeriegelt, dachte Maxim, die Hunde werden schon an den Leinen zerren, und Rittmeister Tschatschu läuft, die Pistole in der Hand, klumpfüßig über den Asphalt und krächzt Kommandos; er wird der Erste sein, der über den Straßengraben setzt und in den Wald läuft. Hinter ihnen lagen dieser idiotische, nun gesprengte Turm und die verkohlten Gardisten … aber auch drei tote, fast schon steife Kameraden. Die beiden anderen waren verwundet, halbtot, hatten kaum eine Chance - und all das wegen eines Turms, eines dummen, sinnlosen, schmutzigen, rostigen Turms, eines von Tausenden. Nie mehr erlaube ich jemandem, eine solche Dummheit zu begehen. Nein, werde ich sagen, ich hab es gesehen. Wie viel Blut - und das alles für einen Haufen unnützen, verrosteten Eisens. Ein junges Leben für verrostetes Eisen, und ein altes Leben für die erbärmliche Hoffnung, ein paar Tage wie Menschen zu leben, und eine erschossene Liebe. Wenn ihr nichts wollt als leben, werde ich sagen, warum sterbt ihr dann einfach so … so billig? Massaraksch, ich lasse nicht zu, dass sie sterben, sie werden leben, ich bringe ihnen bei zu leben! Was für ein Idiot ich war, wie konnte ich mich auf so etwas einlassen, wie konnte ich das erlauben?
Schnell bog er auf den Waldweg, Memo noch immer auf der Schulter. Den General hatte er unter den Achseln gefasst und schleifte ihn mit. Er blickte um sich und sah, wie der Junge vom Gemarkungsstein her auf ihn zulief; er war durchnässt, ängstlich und roch nach Schweiß.
»Sind das alle?«, fragte er entsetzt, und für dieses Entsetzen war ihm Maxim dankbar.
Sie schleppten die Verwundeten zum Motorrad und zwängten Memo in den Beiwagen. Den General setzten sie auf den
Rücksitz, der Junge band ihn mit einem Riemen an sich fest. Noch war es ruhig im Wald, aber Maxim wusste, dass das nichts zu bedeuteten hatte.
»Vorwärts«, sagte er, »nicht anhalten! Schlag dich durch.«
»Ich weiß Bescheid«, erwiderte der Junge. »Was wird aus dir?«
»Ich versuche, sie abzulenken. Keine Sorge, mich kriegen sie nicht.«
»Aber es ist hoffnungslos«, murmelte der Junge traurig, riss am Starter, und das Motorrad fing an zu knattern. »Habt ihr den Turm wenigstens gesprengt?«, schrie er.
»Ja«, sagte Maxim, und der Junge raste davon.
Nachdem Maxim einige Sekunden lang reglos dagestanden hatte, lief er in den Wald zurück. Auf der ersten besten Lichtung riss er sich die Jacke vom Leib und schleuderte sie in die Büsche. Danach kehrte er auf den Weg zurück und rannte, so schnell er konnte, einige Zeit in Richtung Stadt. Dann blieb er stehen, löste die restlichen Granaten vom Gürtel und verteilte sie gut sichtbar auf dem Weg. Schon zwängte er sich durch die Sträucher auf der anderen Seite, wobei er so viele Zweige wie möglich knickte, und warf sein Taschentuch dahinter. Dann erst machte er sich quer durch den Wald davon, wechselte in den gleichmäßigen Schritt eines Jägers, in dem er nun zehn oder fünfzehn Kilometer zurückzulegen hatte.
Er dachte an nichts, achtete nur darauf, dass er nicht zu stark von südwestlicher Richtung abkam und seine Füße sicher setzte. Zwei Wege kreuzte er, das erste Mal einen einsamen Feldweg, beim zweiten Mal die Elfte Chaussee. Auch hier war niemand zu sehen, doch hörte er nun erstmals Hunde bellen. Welche es waren, konnte er nicht feststellen, aber für alle Fälle schlug er einen großen Haken; anderthalb Stunden später fand er sich zwischen den Lagerhallen des städtischen Rangierbahnhofs wieder.
Hier brannten Lichter, pfiffen Lokomotiven, eilten Menschen hin und her. Vermutlich wussten sie von nichts, doch laufen durfte Maxim jetzt nicht mehr: Man hätte ihn für einen Dieb halten können. Er ging zunächst langsam, sprang dann, als ein Güterzug schwerfällig an ihm vorbei in Richtung Stadt rollte, auf einen Flachwagen voll Sand, wühlte sich hinein und fuhr so bis zum Betonwerk. Dort ließ er sich hinuntergleiten, klopfte seine Sachen sauber, beschmierte die
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