Gesammelte Werke
den ihren, ihre Arme lagen aneinander, er bog ihren Kopf herab, um sie zu küssen, und langsam sank sie, als ob etwas in ihr diese Bewegung freiwillig fortsetzte, zur Erde. Sie saß auf der Treppe, er kauerte neben ihr und dann geschah es. Ohne sich zu entkleiden, mit einem Lächeln, das sie wie eine Wunde im Gesicht fühlte, gab sie sich ihm hin; wie etwas Riesengroßes sah sie vor der fahlen Fläche des Fensters seine beiden Schnurrbartspitzen, sie dachte gar nichts. Nur als plötzlich irgendwo eine Tür ging, preßte sie unwillkürlich die Beine zusammen und wollte ihn wegstemmen, aber in diesem Moment bemerkte sie etwas in seinen Augen, ein leises Stöhnen kam aus ihm heraus, und sie fühlte ihn schwerer und sanfter auf sich lasten. Als sie in ihr Zimmer gekommen war, schlief sie vor Erschöpfung bis zum Abend. Als sie aufwachte, lag wieder dieses Leben vor ihrer Tür. Sie wollte auch die Nacht verschlafen, aber der Tag danach schien ihr wie etwas unter einem weißgespannten Tuche voll unerträglicher gleichmäßiger Helligkeit. Wenn sie an Demeter dachte, war ihr, als sei etwas Abscheuliches über sie gekrochen und trotzdem sah sie noch fortwährend seine Augen, die sie erregten. Sie wußte nicht, was sie wollte, sie hatte nur den Wunsch, sich in ihrem Zimmer zu verschließen, damit sie an all das nicht denken müsse. Da klopfte Demeter, der in seinen kleinen Pantoffeln, auf denen ein Herz gestickt war, an ihre Tür geschlichen kam ... Er setzte sich auf den Rand ihres Bettes und gerade als sie sich von ihm weg und zur Wand drehte, hörte man von der Straße unten herauf eine helle Tenorstimme durch das Haus schallen. «Demeter, Demeter bácsi, wo bist du?» Und Demeter sagte ärgerlich, «duhmer Kärl, ich kohm ja gleich. Wollen wir zusperren, Mähderl, sonst – der taktlose Mensch ist nämlich imstand und geht mich suchen.»
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Die Versuchung der stillen Veronika
[Fragment – vor 1908]
Cäcilie, die Tochter des Apothekers, heiratete, und ihre Freundin Veronika, die Tochter des Notars half ihr am Vorabend beim Anprobieren des Brautkleides. Das mit altem Holz getäfelte Zimmer lag fast schon im Dunkeln und in der Ecke, von wo aus der Apotheker behaglich dem Tun der drei Frauen zusah, schwamm es überhaupt nur mehr von Schwarz als die Apothekerin immer noch kniete zu Füßen Cäciliens, die steif und hoch aufgerichtet vor dem einzigen, breiten Fenster stand, und spente ab und zu noch etwas mit den kleinen Nadeln fest, die sie aus einer neben ihr am Boden stehenden Schale nahm. Veronika aber stand nebenbei, hielt hier eine Falte, rückte dort etwas zurecht und ging u kam alle Augenblicke um etwas zu bringen, das man gerade notwendig brauchte. Seine Hochwürden, Cäciliens Bruder, war ausgegangen.
Wenn Veronika ging, so hielt sie den Kopf gesenkt, wie unter der Last der im Kranz um ihn gelegten Zöpfe, und den Leib drückte sie ein wenig hervor, aber sie hatte trotzdem eine eigentümliche gleichgültige Sanftmut in der Art zu gehen, denn das Dunkel teilte sich ganz weich und leise vor ihr und schloß sich hinter ihr ganz ohne Bewegung zusammen, wie wenn sie lautlos mit einer ... hindurchglitte.
Als sie jetzt wiederkam, war die Apothekerin gerade aufgestanden und hatte den Brautkranz auf Cäciliens Haar gesetzt. Sie wandte sich langsam herum, denn sie war von dem langen Knien etw. steif geworden, und fragte mit einer Stimme, die auf gar keine Antwort wartete, «steht er ihr nicht wunderbar, Vronerl?» – und Veronika lächelte. In der Tat sah Cäcilie, in diesem Augenblick mit den weißen Myrthen im dunkelbraunen Haar sich groß gegen die bleiche Fläche des Fensters abhebend, sehr hübsch aus. Der Apothekerin begannen bei diesem Anblick langsam die Thränen zu kommen. «Morgen um diese Zeit, Cilli – Cilli! – bist du nicht mehr hier!» – und sie konnte vor Weinen nicht weitersprechen, auch Cäcilie rannen dabei die Thränen über die Wangen. «Ja, so ein Tag,» meinte der Apotheker, «reißt alles auseinander, was man in Liebe jahrelang behütet hatte, u. wie wenn man ein Pflanzerl noch so vorsichtig aushebt, gibt es ein Loch in der Erde aber das muß schon so sein» aber man konnte es seiner Stimme anmerken, daß er absichtlich zu philosophieren begann, um die Rührung zu verbergen, die auch ihn übermannt hatte. Und schließlich, um der Stimmung ein Ende zu machen, zwang er sich gar zu scherzen. «Na Vronerl,» meinte er mit ein wenig unsicherer Lustigkeit, «und wann werden denn wir so
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