Gesammelte Werke
das!» belehrte ihn Bonadea und begleitete es mit einem Blick, dessen lange Spitze am Ende ein Häkchen hatte, was man ganz gut als Bedauern über ihre gewonnene Unschuld auslegen konnte. «Du mißbrauchst ja auch den physiologischen Schwachsinn des Weibes!»
«Was mißbrauche ich? Da hast du ja ein prächtiges Wort für die Geschichte unserer Liebe gefunden!»
Bonadea gab ihm eine kleine Ohrfeige und ordnete mit nervösen Fingern vor dem Spiegel ihr Haar. Aus dem Glas ihn anblickend, sagte sie: «Das ist aus einem Buch!»
«Natürlich. Aus einem sehr bekannten.»
«Aber Diotima bestreitet das. Sie hat in einem anderen Buch etwas gefunden; das heißt: ‹Die physiologische Minderwertigkeit des Mannes›. Dieses Buch ist von einer Frau geschrieben. Glaubst du, daß es wirklich eine so große Rolle spielt?»
«Ich ahne nicht, was, und kann keinen Ton antworten!»
«Also gib acht! Diotima geht von einer Entdeckung aus, die sie ‹die ständige Lustbereitschaft der Frau› nennt. Du kannst dir darunter etwas vorstellen?»
«Bei Diotima nicht!»
«Sei nicht so unfein!» tadelte ihn seine Freundin. «Diese Theorie ist sehr delikat, und ich muß mich bemühen, sie dir so zu erklären, daß du keine falschen Schlüsse aus dem Umstand ziehst, daß ich dabei mit dir allein in deiner Wohnung bin. Also diese Theorie beruht darauf, daß eine Frau auch dann geliebt werden kann, wenn sie nicht will. Verstehst du jetzt?»
«Ja.»
«Das läßt sich leider auch nicht leugnen. Hingegen soll der Mann sehr oft, auch wenn er lieben will, nicht können. Diotima sagt, daß das wissenschaftlich bewiesen sei. Glaubst du das?»
«Es soll vorkommen.»
«Ich weiß nicht?» zweifelte Bonadea. «Aber Diotima sagt, wenn man das im Licht der Wissenschaft betrachtet, so versteht es sich von selbst. Denn im Gegensatz zur beständigen Lustbereitschaft der Frau ist der Mann, also kurz gesagt, des Mannes männlichster Teil, sehr leicht einzuschüchtern.» Ihr Gesicht war bronzefarben, als sie es jetzt vom Spiegel abwandte.
«Mich wundert das von Tuzzi» meinte Ulrich ablenkend.
«Ich glaube auch nicht, daß das früher so war,» sagte Bonadea «sondern das kommt als eine nachträgliche Bestätigung von der Theorie, weil sie ihm die alle Tage vorhält. Sie nennt das die Theorie des ‹Fiasko›. Denn weil der männliche Keimträger so leicht dem Fiasko verfällt, fühlt er sich nur dort sexuell sicher, wo er keine wie immer geartete seelische Überlegenheit der Frau zu befürchten hat, und darum haben Männer fast nie den Mut, es mit einer menschlich gleichwertigen Frau aufzunehmen. Zumindest versuchen sie gleich, sie niederzudrücken. Diotima sagt, daß das Leitmotiv aller männlichen Liebeshandlungen, und besonders das der männlichen Überheblichkeit, die Angst ist. Große Männer zeigen sie; damit meint sie den Arnheim. Kleinere verschleiern sie hinter brutaler körperlicher Anmaßung und mißbrauchen das Seelenleben der Frau: damit meine ich dich! Und sie den Tuzzi. Dieses gewisse ‹Augenblicklich – oder nie!› womit ihr uns so oft zu Fall bringt, ist nur eine Art Überkomp–» Kompresse wollte sie sagen, «Kompensation» half Ulrich aus.
«Ja. Damit entzieht ihr euch dem Eindruck eurer körperlichen Minderwertigkeit!»
«Und was habt ihr zu tun beschlossen?» fragte Ulrich ergeben.
«Man muß sich bemühen, nett zu den Männern zu sein! Und darum bin ich ja auch zu dir gekommen. Wir werden sehen, wie du das aufnimmst!?»
«Aber Diotima?»
«Gott, was geht dich denn Diotima an! Der Arnheim macht Augen wie ein Schneck, wenn sie ihm sagt, daß die geistig höchststehenden Männer leider nur bei minderwertigen Frauen ihre volle Befriedigung zu finden scheinen, während sie bei seelisch gleichgestellten Frauen versagen, was durch die Frau von Stein und die Vulpius wissenschaftlich bewiesen ist. (Siehst du, jetzt macht mir der Name keine Schwierigkeiten mehr. Aber daß sie die bekannte Sexualpartnerin des alternden Olympiers gewesen ist, habe ich natürlich immer gewußt!)»
Ulrich suchte das Gespräch noch einmal auf Tuzzi zu lenken, um es von sich zu entfernen. Bonadea begann zu lachen; sie war nicht ohne Verständnis für die jammervolle Lage dieses Diplomaten, der ihr als Mann ganz gut gefiel, und empfand Schadenfreude und Spießgesellenschaft darüber, daß er unter der Zuchtrute der Seele zu leiden hatte. Sie erzählte, daß Diotima in der Behandlung ihres Gatten von der Voraussetzung ausgehe, daß sie ihn von der Angst vor
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