Gesammelte Werke
einesteils Diotima andauernd dazu, aus den vorläufig noch recht ungeordneten und ihr selbst unklaren Eindrücken ihrer neuen Belesenheit etwas herauszufinden, wovon sie felsenfest überzeugt war, – geleitet von dem glücklichen Geheimnis der «Intuition», daß man ins Schwarze trifft, wenn man ins Blaue redet; andernteils geriet aber auch Bonadea dabei in einen Vorteil, der ihr jene Rückwirkung ermöglichte, ohne die der Schüler selbst für den besten Lehrer unfruchtbar bleibt: ihr reiches praktisches Wissen bedeutete, wenn sie auch vorsichtig damit zurückhielt, für die Theoretikerin Diotima eine ängstlich beobachtete Erfahrungsquelle, seit die Gattin des Sektionschefs Tuzzi daran gegangen war, an Hand der Bücher die Entwicklung ihrer Ehe zu berichtigen. «Schau, ich bin ja sicher viel weniger gescheit als sie,» erläuterte es Bonadea «aber oft stehen in ihren Büchern Sachen, von denen selbst ich keine Ahnung gehabt hab, und das macht sie manchmal so verzagt, daß sie mit Bedauern sagt: ‹Das läßt sich eben nicht am grünen Tisch des Ehebetts entscheiden, sondern dazu gehört leider eine große, am lebenden Material geschulte Sexualerfahrung und Sexualpraxis!›»
«Aber, um Himmelswillen,» rief Ulrich aus, den das Lachen schon bei der Vorstellung überwältigte, daß sich seine keusche Kusine in die «Sexualwissenschaft» verirrt habe «was will sie denn eigentlich?»
Bonadea sammelte ihre Erinnerungen an die glückliche Verbindung der wissenschaftlichen Interessen der Zeit mit einer gedankenlosen Ausdrucksweise. «Es handelt sich um die beste Ausbildung und Verwaltung ihres Sexualtriebes» entgegnete sie dann im Geist ihrer Lehrerin. «Und sie vertritt die Überzeugung, daß der Weg zu einer beschwingten und harmonischen Erotik durch härteste Selbsterziehung führen muß.»
«Ihr erzieht euch mit Bedacht? Und noch dazu aufs härteste!? Du sprichst ja großartig!» rief Ulrich abermals aus. «Aber sei so freundlich, mir zu erklären, wozu sich Diotima erzieht?»
«In erster Linie erzieht sie natürlich ihren Mann!» verbesserte ihn Bonadea.
«Der Arme!» dachte Ulrich unwillkürlich und bat: «Also möchte ich dann wissen, wie sie das macht: Sei doch nicht auf einmal zurückhaltend!»
Wirklich fühlte sich Bonadea bei diesen Fragen durch Ehrgeiz gehemmt wie ein Vorzugsschüler im Examen. «Ihre Sexualatmosphäre ist vergiftet» erklärte sie vorsichtig. «Und wenn sie diese Atmosphäre retten soll, so geht das nur noch so, daß Tuzzi und sie ihr Handeln auf das sorgfältigste überprüfen. Es gibt da keine allgemeinen Regeln. Man muß sich bemühen, den anderen in seinen Lebensreaktionen zu beobachten. Und um richtig beobachten zu können, muß man eine gewisse Einsicht in das Geschlechtsleben haben. Man muß die praktisch erworbene Erfahrung mit dem Niederschlag theoretischer Forschung vergleichen können, sagt Diotima. Es gibt eben heute eine neue, veränderte Einstellung der Frau zum sexuellen Problem: sie verlangt vom Mann nicht nur ein Tun, sondern ein Tun aus richtiger Erkenntnis des Weiblichen verlangt sie!» Und um Ulrich abzulenken oder weil es ihr selbst Spaß machte, fügte sie erheitert hinzu: «Stell dir bloß vor, wie das auf ihren Mann wirken muß, der von diesen neuen Sachen nicht die leiseste Ahnung hat und das meiste darüber beim Auskleiden im Schlafzimmer erfährt, wenn Diotima, sagen wir, im halb aufgelösten Haar die Nadeln sucht und die Röcke zwischen die Beine geklemmt hat und plötzlich davon zu sprechen anfängt. Ich habe das an meinem Mann nachgeprüft, und er ist beinahe erstickt daran: das eine kann man also zugeben, wenn schon ‹Dauerehe› sein soll, dann hat sie wenigstens den Vorzug, daß sie aus dem Lebenspartner den ganzen erotischen Gehalt herausholt; und das ist es, worum sich Diotima bei Tuzzi bemüht, der ein bisserl unfein ist.»
«Eine harte Zeit ist für eure Männer angebrochen!» neckte sie Ulrich.
Bonadea lachte, und er merkte daran, wie froh sie wäre, gelegentlich dem drückenden Ernst ihrer Liebesschule entwischen zu können.
Aber Ulrichs Forscherwille ließ noch nicht locker; er fühlte heraus, daß seine veränderte Freundin über etwas schweige, worüber sie im Grunde viel lieber gesprochen hätte. Er machte den vertraulichen Einwand, daß dem Vernehmen nach der Fehler der beiden in Mitleidenschaft gezogenen Ehemänner bisher doch eher in einem zu großen «erotischen Gehalt» bestanden haben solle.
«Ja, du denkst eben auch immer nur
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