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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Dieses Nebeneinander in einem Bett Liegen kam ihm jetzt höchst kindisch vor. «Aber was bedeutet dann der Gegensatz dazu, die reglose, die luftstille Fernliebe, die so unkörperlich ist wie ein Frühherbsttag?» fragte er sich. «Wahrscheinlich auch nur ein verändertes Kinderspiel» dachte er zweifelnd, und erinnerte sich an die buntgedruckten Tiere, die er als Kind seliger geliebt hatte als heute seine Freundin. Aber da hatte nun Bonadea gerade genug von seinem Rücken gesehn, um ihr Unglück daran zu ermessen, und sprach ihn mit den Worten an: «Du bist schuld gewesen!»
    Ulrich wandte sich lächelnd zu ihr und erwiderte ohne Überlegen: «In einigen Tagen wird meine Schwester kommen und bei mir wohnen bleiben: habe ich dir das schon mitgeteilt? Wir werden uns dann kaum sehen können.»
    «Wie lange?» fragte Bonadea.
    «Dauernd» antwortete Ulrich und lächelte wieder.
    «Und?» meinte Bonadea. «Was soll das denn hindern? Vielleicht wirst du mir einreden, daß dir deine Schwester nicht erlaubt, eine Geliebte zu haben!»
    «Gerade das will ich dir einreden» sagte Ulrich.
    Bonadea lachte. «Ich bin heute harmlos zu dir gekommen, und du hast mich nicht einmal zu Ende erzählen lassen!!» hielt sie ihm vor.
    «Meine Natur ist als eine Maschine angelegt, die unaufhörlich Leben entwertet! Ich will einmal anders sein!» entgegnete Ulrich. Sie konnte das unmöglich verstehn, doch erinnerte sie sich jetzt trotzig, daß sie Ulrich liebe. Mit einemmal war sie nicht mehr das schwankende Phantom ihrer Nerven, sondern fand eine überzeugende Natürlichkeit und sagte schlicht: «Du hast ein Verhältnis mit ihr angefangen!»
    Ulrich verwies es ihr; ernster, als er wollte. «Ich habe mir vorgekommen, lange Zeit keine Frau anders zu lieben, als wäre sie meine Schwester» erklärte er und schwieg.
    Dieses Schweigen machte durch seine Dauer auf Bonadea einen Eindruck größerer Entschlossenheit, als ihm vielleicht durch seinen Inhalt zukam.
    «Aber du bist ja pervers!» rief sie plötzlich im Ton einer warnenden Prophezeiung aus und sprang aus dem Bett, in Diotimas Weisheitsschule der Liebe zurückzueilen, deren Pforten der reuig Erfrischten ahnungslos offenstanden.
    [◁]
24
    Agathe ist wirklich da
    Am Abend dieses Tags traf ein Telegramm ein, und am nächsten Nachmittag Agathe.
    Ulrichs Schwester kam nur mit wenigen Koffern an, so wie sie es sich ausgemalt hatte, alles hinter sich zu lassen; immerhin entsprach die Anzahl der Koffer nicht ganz dem Vorsatz: Wirf alles, was du hast, ins Feuer bis zu den Schuhen. Als Ulrich von diesem Vorsatz erfuhr, lachte er darüber: sogar zwei Hutschachteln waren dem Feuer entronnen.
    Agathes Stirn bekam den lieblichen Ausdruck einer Kränkung und vergeblichen Nachdenkens über sie.
    Ob Ulrich recht hatte, als er den unvollkommenen Ausdruck eines Gefühls bemängelte, das groß und hinreißend gewesen war, blieb dabei ungewiß, denn Agathe verschwieg diese Frage; Fröhlichkeit und Unordnung, wie sie durch ihre Ankunft unwillkürlich erregt wurden, rauschten ihr in Ohren und Augen, wie ein Tanz um eine Blechmusik schwankt: sie war sehr heiter und fühlte sich leicht enttäuscht, obwohl sie nichts Bestimmtes erwartet und sich während der Reise sogar mit Absicht aller Erwartungen enthalten hatte. Sie wurde nur plötzlich sehr müde, als sie sich an die vergangene Nacht erinnerte, die sie durchwacht hatte. Es war ihr recht, daß ihr Ulrich nach einiger Zeit gestehen mußte, er habe, als die Nachricht von ihr eingetroffen sei, eine auf den heutigen Nachmittag gelegte Verabredung nicht mehr abändern können; er versprach, in einer Stunde wieder zurück zu sein, und bettete seine Schwester mit einer zum Lachen reizenden Umständlichkeit auf den Diwan, der in seinem Arbeitszimmer stand.
    Als Agathe erwachte, war die Stunde längst schon um, und Ulrich fehlte. Das Zimmer war in tiefe Dämmerung getaucht und erschien ihr so fremd, daß sie über den Gedanken erschrak, sie befände sich doch mitten in dem von ihr erwarteten neuen Leben. Soviel sie wahrnehmen konnte, waren die Wände von Büchern bedeckt wie früher die ihres Vaters und die Tische mit Schriften. Sie schloß neugierig eine Tür auf und betrat den benachbarten Raum: Sie traf dort auf Kleiderschränke, Stiefelkasten, den Boxball, Hanteln, eine schwedische Leiter. Sie ging weiter und kam wieder zu Büchern. Sie gelangte zu den Wassern, Essenzen, Bürsten und Kämmen des Badezimmers, zu ihres Bruders Bett, zu dem jagdlichen Schmuck im

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