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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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müßten!» warf Agathe mit einer rauh gewordenen Stimme ein.
    «Zwillinge vielleicht.»
    «Sind wir nicht Zwillinge?»
    «Sicher!» Ulrich wich plötzlich aus. «Zwillinge sind selten; Zwillinge verschiedenen Geschlechts sind eine ganz große Seltenheit; wenn sie aber noch dazu verschieden alt sind und sich die längste Zeit kaum gekannt haben, so bildet das eine Sehenswürdigkeit, die unser wirklich würdig ist!» erklärte er und strebte in eine seichtere Heiterkeit zurück.
    «Wir sind aber als Zwillinge zusammengetroffen!» forderte Agathe unbeeinflußt.
    «Weil wir unerwartet ähnlich angezogen waren?»
    «Vielleicht. Und überhaupt! Du kannst ja sagen, daß es Zufall gewesen sei; aber was ist Zufall? Ich glaube, gerade er ist Schicksal oder Schickung oder wie du das nennen magst. Ist es dir nie zufällig vorgekommen, daß du gerade als du geboren worden bist? Doppelt so viel ist es, daß wir Geschwister sind!» So führte es Agathe aus, und Ulrich unterwarf sich dieser Weisheit. «Wir erklären uns also als Zwillinge!» stimmte er bei. «Symmetrische Geschöpfe der Naturlaune, werden wir fortab gleich alt, gleich groß, gleichen Haares, in gleich gestreiften Kleidern und mit der gleichen Schleife unter dem Kinn durch die Gasse der Menschen wandeln; ich mache dich aber aufmerksam, daß sie uns halb gerührt und halb spöttisch nachblicken werden, wie es immer geschieht, wenn sie etwas an die Geheimnisse ihres Werdens erinnert.»
    «Wir können uns ja auch gerade entgegengesetzt kleiden» entgegnete Agathe belustigt. «Gelb der eine, wenn der andere blau ist, oder rot neben grün, und das Haar können wir violett oder purpurn färben, und ich mache mir einen Buckel und du dir einen Bauch: und trotzdem sind wir Zwillinge!»
    Aber der Scherz war ausgeschöpft, der Vorwand verbraucht, sie verstummten eine Weile. «Weißt du,» sagte Ulrich dann plötzlich «daß es eine sehr ernste Angelegenheit ist, von der wir sprechen?!» – Kaum hatte er das gesagt, als seine Schwester wieder den Fächer der Wimpern über die Augen senkte und mit dahinter versteckter Bereitschaft ihn allein sprechen ließ. Vielleicht sah es auch nur so aus, als ob sie die Augen schlösse. Das Zimmer war dunkel, das Licht, das brannte, verdeutlichte weniger, als daß es sich in hellen Flächen über alle Umrisse ergoß. Ulrich hatte gesagt: «So wie an den Mythos vom Menschen, der geteilt worden ist, könnten wir auch an Pygmalion, an den Hermaphroditen oder an Isis und Osiris denken: es bleibt doch immer in verschiedener Weise das gleiche. Dieses Verlangen nach einem Doppelgänger im anderen Geschlecht ist uralt. Es will Liebe eines Wesens, das uns völlig gleichen, aber doch ein anderes als wir sein soll, eine Zaubergestalt, die wir sind, die aber doch eben auch eine Zaubergestalt bleibt und vor allem, was wir uns bloß ausdenken, den Atem der Selbständigkeit und Unabhängigkeit voraushat. Unzählige Male ist dieser Traum vom Fluidum der Liebe, das sich, unabhängig von den Beschränkungen der Körperwelt, in zwei gleichverschiedenen Gestalten begegnet, schon in einsamer Alchimie den Retorten der menschlichen Köpfe entstiegen –»
    Dann hatte er gestockt; ersichtlich war ihm etwas eingefallen, das ihn störte, und er hatte mit den beinahe unfreundlichen Worten geschlossen: «Selbst unter den alltäglichsten Verhältnissen der Liebe finden sich ja noch Spuren davon: in dem Reiz, der mit jeder Veränderung und Verkleidung verbunden ist, wie in der Bedeutung der Übereinstimmung und Ichwiederholung im anderen. Der kleine Zauber bleibt sich gleich, ob man eine Dame zum erstenmal nackt sieht oder ein nacktes Mädel zum erstenmal im hochgeschlossenen Kleid, und die großen, rücksichtslosen Liebesleidenschaften sind alle damit verbunden, daß sich ein Mensch einbildet, sein geheimstes Ich spähe ihn hinter den Vorhängen fremder Augen an.»
    Es klang, als bäte er sie damit, was sie sprächen, nicht zu überschätzen. Agathe aber dachte noch einmal an das blitzhafte Gefühl der Überraschung, das sie empfunden hatte, als sie einander, in ihren Hausanzügen gleichsam verkleidet, zum erstenmal begegnet waren. Und sie erwiderte: «Das gibt es nun also seit tausenden Jahren; ist es denn leichter zu verstehn, wenn man es aus zwei Täuschungen erklärt?!»
    Ulrich schwieg.
    Und nach einer Weile sagte Agathe erfreut: «Aber im Schlaf ist es trotzdem so! Da sieht man sich doch manchmal auch in etwas anderes verwandelt. Oder begegnet sich als ein Mann.

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