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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Glück.
    Und sie konnte nicht umhin, schließlich etwas davon Walter mitzuteilen. Sie teilte ihm mit, daß ihr Gewissen von Tag zu Tag stärker werde. Doch erwiderte Walter aufgebracht und unerachtet seiner Bewunderung für Meingast, den vermuteten Urheber dieser Tatsache: «Es ist wohl wahrhaftig ein Glück, daß es Ulrich nicht zu gelingen scheint, die Erlaubnis zu besorgen!»
    Bloß ein Grimmen lief über Clarissens Lippen, aber es verriet Mitleid mit seiner Ahnungslosigkeit und Widerstand.
    «Was willst du denn eigentlich von diesem Verbrecher, der uns alle zusammen nicht das geringste angeht!?» fragte Walter erregt.
    «Es wird mir einfallen, wenn ich dort bin» gab Clarisse zur Antwort.
    «Ich meine, das müßtest du jetzt schon wissen!» bemerkte Walter männlich.
    Seine kleine Frau lächelte, wie sie es immer tat, ehe sie ihn tief verletzte. Dann sagte sie aber bloß: «Ich werde etwas tun.»
    «Clarisse!» erwiderte Walter fest «du darfst nichts tun ohne meine Erlaubnis; ich bin rechtlich dein Mann und Vormund!»
    Das war ihr ein neuer Ton. Sie wandte sich von ihm ab, tat verwirrt ein paar Schritte.
    «Clarisse!» rief ihr Walter nach und erhob sich, ihr zu folgen. «Ich werde etwas gegen den Wahnsinn tun, der hier im Haus kreist!»
    Da begriff sie, daß sich die Heilkraft ihres Entschlusses auch schon an Walters zunehmender Kraft fühlen mache. Sie wandte sich auf der Ferse um: «Was wirst du tun?!» fragte sie ihn, und ein Blitz aus dem Spalt ihrer Augen schlug in das feuchte, aufgerissene Braun der seinen.
    «Sieh doch,» begütigte er und wich zurück, weil er sich von solcher Genauigkeit der erheischten Antwort überrascht sah «das haben wir ja alle in uns, diese intellektuelle Neigung für das Ungesunde, Schauerliche und Problematische, wir geistigen Menschen; aber –»
    «Aber wir lassen die Philister gewähren!» unterbrach ihn Clarisse siegprangend. Nun ging sie ihm nach, ließ ihn nicht aus den Augen. Fühlte, wie ihn ihre Heilkraft umschlang und kräftig zwang. Ihr Herz wurde plötzlich von einer unsäglichen und seltsamen Freude erfüllt.
    «Aber wir machen nicht so viel Wesens davon» murmelte Walter seinen Satz verdrossen zu Ende. Hinter sich, am Saum seines Rockes, fühlte er einen Widerstand; hingreifend, erriet er die Kante eines der dünnbeinigen, leichten Tischchen, die es in seiner Wohnung gab und die ihm plötzlich gespenstisch vorkamen; wiche er noch weiter zurück, müßte er den Tisch lächerlicherweise ins Rutschen bringen, begriff er. Also widerstand er dem plötzlich erwachten Wunsch, weit fort von diesem Kampf zu sein, auf einer Wiese von tiefem Grün, unter blühenden Obstbäumen und zwischen Menschen, deren gesunde Fröhlichkeit seine Wunden wusch und reinigte. Es war ein ruhiger, dicker Wunsch, verschönt von Frauen, die seinem Wort lauschten und es mit Bewunderung bedankten. Und in dem Augenblick, wo sich ihm Clarisse näherte, empfand er sie eigentlich als eine wüste traumartige Belästigung. Zu seiner Überraschung sagte Clarisse aber nicht: du bist ein Feigling! Sondern sie sagte: «Walter? Warum sind wir unglücklich?!»
    Bei dieser lockenden, hellsichtigen Stimme fühlte er, daß sein Unglück mit Clarisse durch kein Glück mit einer anderen Frau ersetzt werden könnte. «Wir müssen es sein!» erwiderte er in einer ebenbürtigen Aufwallung.
    «Nein, wir müßten es nicht sein!» versicherte Clarisse nachgiebig. Sie ließ den Kopf zur Seite hängen und suchte nach etwas, das ihn überzeugen sollte. Im Grunde durfte es nicht einmal einen Unterschied ausmachen, was es sei: sie standen vor einander wie ein Tag ohne Abend, der das Feuer von Stunde zu Stunde weitergibt, ohne daß es weniger wird. «Du wirst mir zugeben,» begann sie schließlich in einem ebenso schüchternen wie eigensinnigen Tonfall «daß die wirklich großen Verbrechen nicht dadurch entstehn, daß man sie tut, sondern daraus, daß man sie gewähren läßt!»
    Nun wußte Walter freilich, was kommen sollte, und es bedeutete eine heftige Enttäuschung. «O Gott!» rief er ungeduldig aus. «Ich weiß doch auch, daß durch Gleichgültigkeit und durch die Leichtigkeit, mit der man sich heute ein gutes Gewissen beschaffen kann, weit mehr Menschenleben zugrunde gerichtet werden als durch den bösen Willen einzelner! Und es ist bewundernswert, daß du jetzt sagen wirst, jeder muß darum sein Gewissen schärfen und muß jeden Schritt aufs genaueste prüfen, ehe er ihn tut.»
    Clarisse unterbrach ihn, indem sie

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