Gesammelte Werke
ist sie ganz Dame; aber ohne jede Spur von kindlicher Geschraubtheit. In der gleichen Art sprach sie auch mit ihrem Begleiter oder hörte ihm schweigend zu. Sie war wunderschön; braun, volle Lippen, starke Augenbrauen, eine etwas aufgebogene Nase: vielleicht eine dunkelhaarige Polin oder eine Südslawin. Ich glaube, sie trug auch ein Kleid, das an irgendein nationales Kostüm erinnerte, aber mit langer Jacke, enger Mitte, kleinem Schnurbesatz und Krausen an Hals und Händen in seiner Art ebenso vollendet war wie die ganze kleine Person. Vielleicht war sie Albanerin? Ich saß zu weit, um hören zu können, wie sie sprach. Mir fiel auf, daß die Züge ihres ernsten Gesichts ihren Jahren voraus waren und völlig erwachsen wirkten; trotzdem bildeten sie nicht das Antlitz einer zwergkleinen Frau, sondern ohne alle Frage das eines Kindes. Anderseits war dieses Kindergesicht durchaus nicht die unreife Vorstufe eines Erwachsenen. Es scheint, daß manchmal das Frauengesicht mit zwölf Jahren fertig ist, auch seelisch wie von großen Meisterstrichen im ersten Entwurf geformt, so daß alles, was die Ausführung später hineinbringt, die ursprüngliche Größe nur verdirbt. Man kann sich leidenschaftlich in eine solche Erscheinung verlieben, tödlich, und eigentlich ohne Begehren. Ich weiß, daß ich mich scheu nach den anderen Leuten umgesehen habe, denn es war mir, als wiche alle Ordnung von mir zurück. Ich bin hinter der Kleinen dann ausgestiegen, verlor sie aber im Gedränge der Straße» schloß er seine kleine Erzählung.
Nachdem sie noch eine Weile damit gewartet hatte, fragte Agathe lächelnd: «Und wie stimmt das dazu, daß die Zeit der Liebe vorbei ist und nur noch Sexualität und Kameradschaft bleiben?»
«Gar nicht stimmt es dazu!» rief Ulrich lachend aus.
Seine Schwester überlegte und bemerkte auffallend herb, – es wirkte wie eine absichtliche Wiederholung seiner eigenen am Abend ihres Wiedersehens gebrauchten Worte: «Alle Männer wollen Brüderlein und Schwesterlein spielen. Es muß wirklich etwas Dummes bedeuten. Brüderlein und Schwesterlein sagen Vater und Mutter zueinander, wenn sie einen kleinen Schwips haben.»
Ulrich stutzte. Agathe hatte nicht nur recht, sondern begabte Frauen sind auch unerbittliche Beobachter der Männer, die sie lieben; sie haben bloß keine Theorien und machen darum von ihren Entdeckungen keinen Gebrauch, außer wenn sie gereizt werden. Er fühlte sich etwas beleidigt. «Man hat das natürlich schon psychologisch erklärt» sagte er zögernd. «Nichts liegt auch näher, als daß wir zwei psychologisch verdächtig sind. Inzestuöse Neigung, ebenso früh in der Kindheit nachweisbar wie unsoziale Anlage und Proteststellung zum Leben. Vielleicht sogar nicht genügend gefestigte Eingeschlechtigkeit, obwohl ich –»
«Ich auch nicht!» warf Agathe ein und lachte nun wieder, wenn auch eigentlich nicht mit Willen. «Ich mag Frauen gar nicht!»
«Ist auch alles gleich» meinte Ulrich. «Allenfalls seelisches Eingeweide. Da kannst du auch noch sagen, daß es ein Sultansbedürfnis gibt, ganz allein anzubeten und angebetet zu werden unter Ausschluß der übrigen Welt; im alten Orient hat es den Harem hervorgebracht, und heute hat man dafür die Familie, die Liebe und den Hund. Und ich kann sagen, daß die Sucht, einen Menschen so allein zu besitzen, daß ein anderer gar nicht herankann, ein Zeichen der persönlichen Einsamkeit in der menschlichen Gemeinschaft ist, das selbst Sozialisten selten verleugnen. Wenn du es so ansehen willst, sind wir nichts als eine bürgerliche Ausschreitung. Sieh, wie herrlich! –» unterbrach er sich und zog sie am Arm.
Sie standen am Rand eines kleinen Marktes zwischen alten Häusern. Rings um das klassizistische Standbild irgendeines Geistesgroßen lag das buntfarbige Gemüse, waren die großen sackleinenen Schirme der Marktstände aufgespannt, kollerte Obst, wurden Körbe geschleift und Hunde von den ausgelegten Herrlichkeiten verscheucht, sah man die roten Gesichter derber Menschen. Die Luft polterte und gellte von arbeitsam erregten Stimmen und roch nach Sonne, die auf irdisches Allerlei scheint. «Muß man die Welt nicht lieben, wenn man sie bloß sieht und riecht?!» fragte Ulrich begeistert. «Und wir können sie nicht lieben, weil wir mit dem, was in ihren Köpfen vorgeht, nicht einverstanden sind –»setzte er hinzu.
Das war nun nicht gerade eine Abtrennung nach Agathes Geschmack, und sie antwortete nicht. Aber sie drückte sich an den Arm
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