Gesammelte Werke
etwas verdient, weil das beweist, daß sie andern Leuten auch einleuchten!» – Es hatte sich irgend etwas Wichtiges unmerklich an Leo Fischel verändert, aber Ulrich verabsäumte es leider, dem nachzugehn, und beeilte sich bloß, Gerdas Vater an die Gruppe des Sektionschefs Tuzzi weiterzugeben.
Dort war inzwischen Stumm von Bordwehr beredt geworden, da er Ulrichs nicht habhaft werden konnte und mit einem so lebhaften Verlangen sich auszusprechen geladen war, daß es auf dem nächsten Wege ausbrach. «Wie man den heutigen Abend erklären soll?» rief er aus, die Frage des Hofrats Schwung wiederholend: «Ich möchte sozusagen in seinem eigenen wohlerwogenen Sinn behaupten: am besten gar nicht! Das ist kein Witz meine Herrn» erläuterte er sich, nicht ohne bescheidenen Stolz: «Ich habe heute nachmittag eine junge Dame, der ich die Psychiatrische Klinik unserer Universität zeigen mußte, zufällig im Gespräch gefragt, was sie dort eigentlich will, damit man ihr alles recht erklären kann, und da hat sie mir eine geistvolle Antwort gegeben, die ausnehmend zum Nachdenken anregt. Sie hat nämlich gesagt: ‹Wenn man alles erklären soll, so wird der Mensch niemals etwas an der Welt ändern!›»
Schwung mißbilligte diese Behauptung durch ein Kopfschütteln.
«Wie sie das gemeint hat, weiß ich ja nicht» verwahrte sich Stumm «und ich will mich nicht damit identifizieren, aber etwas Wahres fühlt man unmittelbar daran! Sehen Sie, ich verdanke zum Beispiel meinem Freund, der schon oft Seine Erlaucht und damit die Aktion beraten hat,» – er wies höflich auf Ulrich hin – «sehr viel Belehrung, aber was sich hier heute bildet, daß ist eine gewisse Abneigung gegen Belehrung. Damit komme ich auf das zurück, was ich eingangs behauptet habe!»
«Aber Sie wollen doch» sagte Tuzzi «– ich meine, man erzählt, daß die Herren vom Kriegsministerium heute einen vaterländischen Beschluß provozieren wollen; eine Sammlung öffentlicher Gelder, oder so etwas Ähnliches, für eine Neubewaffnung der Artillerie. Natürlich soll das nur einen demonstrativen Wert haben, um das Parlament durch den öffentlichen Willen unter einen gewissen Druck zu setzen.»
«So möchte ich allerdings auch manches verstehn, was ich heute gehört habe!» pflichtete Hofrat Schwung bei.
«Das ist viel komplizierter, Herr Sektionschef!» sagte der General.
«Und Doktor Arnheim?» fragte Tuzzi unverblümt. «Ich darf doch offen reden: Sind Sie sicher, daß auch Arnheim nichts will als die galizischen Ölfelder, die mit der Kanonenfrage sozusagen ein Junktim bilden?»
«Ich kann nur von mir und dem, was ich damit zu tun habe, sprechen, Herr Sektionschef,» verwahrte sich Stumm noch einmal «und da ist alles viel komplizierter!»
«Natürlich ist es komplizierter!» gab Tuzzi lächelnd zurück.
«Natürlich brauchen wir die Kanonen,» ereiferte sich der General «und möglicherweise kann es vorteilhaft sein, dabei in der von Ihnen angedeuteten Weise mit Arnheim zusammenzuarbeiten. Aber ich wiederhole, daß ich nur von meinem Standpunkt als Bildungsreferent sprechen kann, und da frage ich Sie: was nützen Kanonen ohne Geist!»
«Und warum wurde dann solcher Wert auf die Beiziehung des Herrn Feuermaul gelegt?» fragte Tuzzi spöttisch. «Das ist doch der lebendige Defaitismus!»
«Verzeihen Sie, daß ich widerspreche,» sagte der General entschieden «aber das ist Zeitgeist! Der Zeitgeist hat heute zwei Strömungen. Seine Erlaucht – er steht drüben mit dem Minister, und ich bin soeben erst von dort gekommen – Seine Erlaucht zum Beispiel sagt, man muß eine Parole der Tat ausgeben, das verlange die Zeitentwicklung. Und wirklich haben ja auch heute alle viel weniger Freude an den großen Gedanken der Menschheit, als, sagen wir, vor hundert Jahren. Aber anderseits hat natürlich auch die Gesinnung der Menschenliebe etwas für sich, nur sagt da Seine Erlaucht: wenn jemand sein Glück nicht will, so muß man ihn unter Umständen auch dazu zwingen! Seine Erlaucht ist also für die eine Strömung, aber er entzieht sich auch nicht der andern! –»
«Das habe ich nicht ganz verstanden» wandte Professor Schwung ein.
«Das ist auch nicht leicht zu verstehn» räumte Stumm bereitwillig ein. «Gehen wir also vielleicht noch einmal von der Tatsache aus, daß ich zwei Strömungen des Zeitgeistes bemerke. Die eine Strömung sagt, daß der Mensch von Natur gut ist, wenn man ihn sozusagen nur in Ruh läßt –»
«Wieso gut?» unterbrach ihn
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