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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Stelle der Arme beteuernd ausbreitenden Stimme aus. «Gerade die Pazifizierung des Menschen veranlaßt uns zu einer gewissen Strenge! Darf ich voraussetzen, daß Herr Sektionschef von meinen augenblicklich aktuellen Bemühungen in dieser Sache etwas gehört haben?» Er wandte sich jetzt unmittelbar an Tuzzi, der zwar nichts von dem Streit um die Frage gehört hatte, ob die verminderte Zurechnungsfähigkeit eines kranken Verbrechers ihre Begründung nur in dessen Vorstellungen oder nur in dessen Willen haben könne, aber umso höflicher allem zustimmte. Schwung, der mit der Wirkung, die er hervorbrachte, sehr zufrieden war, fing darauf den Eindruck zu loben an, den ihm die ernste Lebensauffassung mache, deren Zeugnis der heutige Abend sei, und erzählte, daß er, da und dort den Gesprächen zuhörend, sehr oft die Worte «männliche Strenge» und «moralische Gesundheit» vernommen habe. «Unsere Kultur wird viel zu sehr von Minderwertigen, moralisch Schwachsinnigen verseucht» fügte er für seine Person hinzu und frug: «Aber was ist eigentlich der Zweck des heutigen Abends? Ich habe, an verschiedenen Gruppen vorbeikommend, auffallend oft geradezu Rousseauische Ansichten über die angeborene Güte des Menschen äußern gehört?»
    Tuzzi, an den diese Frage vornehmlich gerichtet war, schwieg lächelnd, aber da kehrte gerade der General zu Ulrich zurück, und Ulrich, der ihm zu entschlüpfen wünschte, machte ihn mit Schwung bekannt und bezeichnete ihn als den geeignetsten Mann unter allen Anwesenden, diese Frage zu beantworten. Stumm von Bordwehr wehrte sich lebhaft dagegen, aber Schwung und auch Tuzzi ließen ihn nicht los; und Ulrich frohlockte bereits, mit den ersten Schritten den Rückzug antretend, als ihn ein alter Bekannter mit den Worten festhielt: «Meine Frau und Tochter sind auch hier.» Es war Bankdirektor Leo Fischel.
    «Hans Sepp hat die Staatsprüfung gemacht» erzählte er. «Was sagt man dazu? Jetzt fehlt ihm nur noch ein Examen zum Doktor! Wir sitzen alle dort drüben in einer Ecke» – er wies auf das entfernteste Zimmer. «Wir kennen zu wenig Leute hier. Übrigens hat man Sie lange nicht bei uns gesehen! Ihr Herr Vater, nicht wahr? Hans Sepp hat uns die Einladung für heute abend besorgt, meine Frau wollte durchaus: soweit ist der Bursche ja nicht ganz untüchtig. Sie sind jetzt so halboffiziell verlobt, Gerda und er. Das wissen Sie wohl gar nicht? Aber Gerda, sehen Sie, das Mädel, ich weiß nicht einmal, ob sie ihn liebt oder ob sie sich das bloß in den Kopf gesetzt hat. Kommen Sie doch ein bissel zu uns herüber –!»
    «Ich komme dann später» versprach Ulrich.
    «Ja, kommen Sie!» wiederholte Fischel und schwieg. Dann flüsterte er: «Das ist wohl der Hausherr? Wollen Sie mich nicht mit ihm bekannt machen? Wir haben noch keine Gelegenheit gehabt. Weder ihn noch sie kennen wir.»
    Als sich Ulrich dazu anschickte, hielt ihn Fischel aber zurück. «Und der große Philosoph? Was macht er?» fragte er. «Meine Frau und Gerda sind natürlich ganz verliebt in ihn. Aber was ist mit den Öllagern? Man hört jetzt, das soll ein falsches Gerücht gewesen sein: ich glaub das nicht! Dementiert wird immer! Wissen Sie, das ist so: Wenn sich meine Frau über ein Dienstmädel ärgert, dann heißt es, sie lügt, sie ist unmoralisch, sie ist frech –: sozusagen lauter seelische Defekte. Wenn ich dem Mädel aber heimlich eine Lohnerhöhung zusichere, um Ruhe zu haben, ist die Seele plötzlich weg! Keine Rede mehr von Seele, alles geht auf einmal in Ordnung, und meine Frau weiß nicht warum: Nicht? So ist es doch? Die Öllager haben zu viel kaufmännische Wahrscheinlichkeit für sich, als daß man dem Dementi glauben könnte.»
    Und weil sich Ulrich schweigsam verhielt, Fischel aber im Ornat des Wissenden zu seiner Frau zurückkehren wollte, fing er noch einmal an: «Man muß zugeben, daß es hier hübsch ist. Aber meine Frau möchte wissen: es wird so sonderbar geredet? Und was ist eigentlich dieser Feuermaul?» fügte er gleich noch hinzu. «Gerda sagt, er ist ein großer Dichter; Hans Sepp sagt, er ist gar nichts als ein Streber, auf den die Leute hereingefallen sind!?»
    Ulrich meinte, die Wahrheit werde ungefähr in der Mitte liegen.
    «Das ist einmal ein gutes Wort!» bedankte ihn Fischel. «Die Wahrheit liegt nämlich immer in der Mitte, und das vergessen heute alle, wo man nur extrem ist! Ich sage Hans Sepp jedesmal: Ansichten kann jeder haben, aber bleibend sind auf die Dauer nur die, mit denen man

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