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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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der nicht zur Zivilverwaltung gehörte. Tuzzi hatte geträumt: «Erste Strömung – zweite Strömung.» Es erinnerte ihn an zwei ähnliche Wortgebilde: «Erste Stauung, zweite Stauung», aber ohne daß ihm diese einfielen oder das Gespräch mit Ulrich, darin sie vorgekommen waren; bloß eine unbegreifliche Eifersucht auf seine Frau erwachte in ihm und hing mit diesem ungefährlichen General durch unsichtbare Zwischenglieder zusammen, die er in keiner Weise entwirren konnte. Als ihn das Schweigen aufweckte, wollte er dem Vertreter des Militärs zeigen, daß er sich nicht durch ausschweifende Reden in die Irre führen lasse. «Wenn ich das zusammenfasse, Herr General,» begann er «so will die Militärpartei –»
    «Aber Herr Sektionschef, es gibt doch keine Militärpartei!» unterbrach ihn Stumm sofort, «Wir hören immer sagen: Militärpartei, und dabei ist das Militär doch seinem ganzen Wesen nach überparteilich!»
    «Also dann das Militär-Ressort» erwiderte Tuzzi ziemlich unwirsch auf diese Unterbrechung. «Sie haben gesagt, der Armee ist nicht nur mit Kanonen gedient, sondern sie braucht auch den dazugehörigen Geist: von welchem Geist werden Sie nun belieben ihre Geschütze laden zu lassen?»
    «Viel zu weit gegriffen, Herr Sektionschef!» beteuerte Stumm. «Wir sind davon ausgegangen, daß ich den Herrn den heutigen Abend habe erklären sollen, und ich habe gesagt, daß man da eigentlich nichts erklären kann: das ist das einzige, was ich aufrecht erhalte! Denn wenn der Zeitgeist wirklich die zwei Strömungen hat, von denen ich gesprochen habe, so sind sie ja alle beide auch nicht fürs ‹Erklären›. Man ist heute für Triebkräfte, Blutkräfte und dergleichen: ich geh ja gewiß nicht mit, aber daran ist etwas!»
    Bei diesen Worten kochte noch einmal Direktor Fischel auf und fand es unmoralisch, daß sich das Militär unter Umständen auch mit dem Antisemitismus vergleichen wolle, um zu seinen Geschützen zu kommen.
    «Aber Herr Direktor!» beruhigte ihn Stumm. «Erstens kommt es doch wirklich nicht auf ein bisserl Antisemitismus an, wenn die Leute schon einmal überhaupt Anti sind, die Deutschen gegen die Tschechen und Madjaren, die Tschechen gegen die Madjaren und die Deutschen, und so halt weiter ein jeder gegen alle. Und zweitens ist gerade das österreichische Offizierkorps immer international gewesen, da braucht man nur die vielen italienischen, französischen, schottischen, ja was weiß ich für Namen anzusehn; auch einen General der Infanterie von Kohn haben wir, der ist Korpskommandant in Olmütz!»
    «Ich fürchte trotzdem, Sie muten sich zu viel zu» unterbrach Tuzzi die Unterbrechung. «Sie sind international und kriegerisch, möchten aber mit den nationalen Strömungen und den pazifistischen ein Geschäft machen: das ist beinahe mehr, als ein Diplomat von Fach leisten könnte. Mit dem Pazifismus Militärpolitik zu treiben, beschäftigt heute in Europa die gewiegtesten Fachleute!»
    «Aber das sind doch überhaupt nicht wir, die Politik treiben!» verteidigte sich Stumm noch einmal, im Ton der müden Klage über so viel Mißverständnis. «Seine Erlaucht wollte Besitz und Bildung eine letzte Gelegenheit geben, ihren Geist zu einigen: daraus ist dieser Abend entsprungen. Natürlich, wenn sich der Zivilgeist ganz und gar nicht einigen könnte, würden wir in die Lage kommen –»
    «Nun, in welche Lage? Das wäre ja gerade wissenswert!» rief Tuzzi aus, vorschnell das Wort schürend, das kommen sollte.
    «Natürlich in eine schwierige» meinte Stumm vorsichtig und bescheiden.
    Während sich die vier Herren so unterhielten, hatte sich aber Ulrich längst unauffällig davongemacht und suchte Gerda, in einem Bogen der Gruppe Sr. Erlaucht und des Kriegsministers ausweichend, damit er nicht herangewinkt werde.
    Er sah sie schon von ferne an der Wand sitzen neben ihrer steif in den Salon blickenden Mutter, und Hans Sepp stand unruhig und trotzig an ihrer anderen Seite. Seit jenem unseligen letzten Beisammensein mit Ulrich war sie noch magerer geworden, und je mehr er sich ihr näherte, desto kahler der Reize entblößt, aber irgendwie gerade dadurch verhängnisvoller anziehend, hob sich ihr Kopf mit den kraftlosen Schultern vom Zimmer ab. Als sie Ulrichs ansichtig wurde, übergoß eine jähe Röte ihre Wangen, die von noch tieferer Blässe gefolgt wurde, und sie machte eine unwillkürliche Bewegung mit dem Oberkörper wie ein Mensch, den das Herz schmerzt und irgendwelche Umstände verhindern

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