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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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hat, Zusätzliches indes noch gegen die besondere weibliche Form dieses Ungeistes als Schönheitspflege. Lindner schmeichelte sich, zu den wenigen zu gehören, die Licht und Schatten auch da richtig zu verteilen wüßten, und so, wie er bereit war, dem Zeitgeist allenthalben einen unverderbten Kern zu entnehmen, anerkannte er auch die sittliche Verpflichtung, so gesund und wohlgefällig zu erscheinen wie nur möglich. Er selbst pflegte sorgfältig jeden Morgen Bart und Haar, hielt seine Nägel kurz und peinlich sauber, nahm etwas Brillantine aufs Haupt und etwas schützende Salbe auf die tagsüber viel erduldenden Füße; wer dagegen möchte leugnen, daß es ein Zuviel an dem Körper gewidmeter Aufmerksamkeit ist, womit eine weltliche Frau ihren Tag verbringt; Sollte es aber wirklich nicht anders sein können er kam Frauen gerne zart entgegen, zumal wenn sich unter ihnen auch die von hochmögenden Männern befinden konnten – als daß Badewässer und Gesichtsbäder, Salben und Packungen, Hand- und Fußkünsteleien, Knetmeister und Haarkünstler einander in kaum unterbrochener Folge ablösen, so empfahl er als Gegengewicht solcher einseitigen Körperpflege den von ihm in öffentlicher Rede geprägten Begriff der inneren Schönheitspflege, oder kurz Innenpflege. Möge uns beispielsweise die Reinigung an die innere Reinheit mahnen, die Salbung an die Pflichten gegen die Seele, die Massage an die Hand des Schicksals, worin wir uns befinden, und die Feilung der Fußspitzen daran, daß wir auch im noch tiefer Verborgenen ein schöner Anblick sein sollen. So übertrug er sein Bild auf die Frauen, überließ es ihnen aber selbst, die Einzelheiten den Bedürfnissen ihres Geschlechts anzupassen.
    Freilich hätte es geschehen können, daß ein Unvorbereiteter durch den Anblick, den Lindner beim Schönheits- und Gesundheitsdienst, vollends aber während des Waschens und Abtrocknens darbot, zum Lachen gereizt würde: denn seine Bewegungen riefen, bloß körperlich betrachtet, die Vorstellung eines sich vielfach wendenden Schwanenhalses hervor, der außerdem nicht aus Rundung, sondern aus dem spitzen Element von Knie und Ellbogen bestand; die von der Brille befreiten, kurzsichtigen Augen blickten märtyrerhaft in die Weite, als ob man ihren Blick nahe beim Auge abgeschnitten hätte, und unter dem Bart warfen sich die weichen Lippen im Schmerz der Anstrengung auf. Wer aber geistig zu sehen verstand, der konnte wohl das Schauspiel erleben, äußere und innere Kräfte in reiflich überlegter gegenseitiger Hervorbringung zu sehn; und wenn Lindner dabei an die armen Frauen dachte, die Stunden im Bade- und Ankleidezimmer verbringen und die Phantasie einseitig durch Leibeskultus erhitzen, so konnte er sich selten des Gedankens erwehren, wie gut es ihnen täte, wenn sie einmal ihm zusehen könnten. Harmlos und rein begrüßen sie die moderne Körperpflege und machen sie mit, weil sie in ihrer Unkenntnis nicht ahnen, daß solche große dem tierischen Teil gewidmete Aufmerksamkeit allzu leicht Ansprüche in diesem weckt, die das Leben zerstören können, wenn man sie nicht in strenge Dienstbarkeit nimmt!
    Überhaupt verwandelte Lindner schlechthin alles, womit er in Berührung kam, in eine sittliche Forderung; und ob er sich in Kleidern befand oder nicht, war jede Stunde des Tages bis zum Eintritt traumlosen Schlafs von einem wichtigen Inhalt ausgefüllt, dem sie ein für allemal vorbehalten blieb. Er schlief sieben Stunden: seine Lehrverpflichtung, die das Ministerium mit Rücksicht auf seine wohlgelittene schriftstellerische Tätigkeit eingeschränkt hatte, forderte drei bis fünf Stunden des Tages von ihm, in denen schon die Vorlesung über Pädagogik inbegriffen war, die er wöchentlich zweimal an der Universität abhielt; fünf zusammenhängende Stunden – das sind fast zwanzigtausend Stunden in einem Jahrzehnt! – waren dem Lesen vorbehalten; zweieinhalb Stunden dienten der ohne Stockung aus dem inneren Gestein seiner Persönlichkeit wie eine klare Quelle fließenden Niederschrift seiner eigenen Arbeiten; die Mahlzeiten beanspruchten täglich eine Stunde für sich; eine Stunde war dem Spaziergang gewidmet und zugleich der Erbauung an großen Fach- und Lebensfragen, während eine andere dem beruflich bedingten Ortswechsel und zugleich dem gewidmet blieb, was Lindner das kleine Nachdenken nannte, der Sammlung des Geistes auf den Gehalt der eben vergangenen und der kommenden Beschäftigung; andere Zeitstücke hinwieder waren, teils

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