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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sich von der gewöhnlichen deutlich unterschied, und der Reichtum des in sie Einbezogenen wuchs; aber Ulrich mochte sich erinnern, woran er wollte, so war es von einer solchen Eingebung zur andern immer ebenso weit, wie es zu einer dritten gewesen wäre, und nirgends hob sich eine Behauptung durch ihre beherrschende Stellung hervor. Auf diese Weise erinnerte er sich jetzt auch daran, daß einstmals ein dem ähnliches «Gleichweit», wie es hier zwischen den Gedanken beinahe lästig und entmutigend wirkte, auf das beglückendste zwischen ihm und der ganzen Welt, die um ihn war, bestanden hatte; scheinbar oder wirklich, eine Aufhebung des Geistes der Trennung, ja beinahe des Raums. Das war damals, in seinen allerersten Mannesjahren, auf der Insel geschehen, wohin er sich vor der Frau Major, mit ihrem Bilde im Herzen, geflüchtet hatte. Er hatte es wohl auch fast mit den gleichen Worten beschrieben. Alles war auf unverständlich sichtbare Weise durch einen Zustand der Liebesfülle verändert, als hätte er ehedem nur einen Zustand der Armut gekannt. Selbst der Schmerz war Glück. Beinahe auch sein Glück ein Schmerz. Alles war ihm hangend zugeneigt. Es schien, daß alle Dinge von ihm wüßten, und er von ihnen; daß alle Wesen von einander wüßten, und daß es doch ein Wissen überhaupt nicht gäbe, sondern daß Liebe mit ihren Attributen der schwellenden Fülle und des reifenden Werdens als das einzige und vollkommene Gesetz diese Insel beherrschte. Er hatte das später, mit geringfügigen Änderungen, oft genug als Vorlage benutzt, und mehr oder minder hätte er auch in den letzten Wochen diese Beschreibung erneuern können; es war durchaus nicht schwer, in ihr fortzufahren, und je bedenkenloser man es tat, desto fruchtbarer geschah es. Aber gerade diese Unbestimmtheit war das, woran ihm jetzt am meisten lag. Denn hingen seine Gedanken so zusammen, daß sich ihnen nichts Wesentliches hinzufügen ließ, das sie nicht aufgenommen hätten wie einen Hinzukommenden, der in einer Versammlung verschwindet, so bewiesen sie damit doch bloß ihre Ähnlichkeit mit den Empfindungen, durch die sie zum erstenmal in Ulrichs Leben gerufen worden waren; und diese Übereinstimmung einer, nun durch Agathe, zum zweitenmal erlebten Veränderung der Sinnessphäre, von der die Welt ergriffen zu werden schien, mit einem veränderten Denken, – von dem man auch hätte sagen können, daß es sich in unendlichen Träumen auf seinem Platz winde; und schon einmal war es schließlich daran ermattet! – diese merkwürdige Übereinstimmung, die Ulrich heute erst ganz beachtete, gab ihm Mut und Befürchtungen ein. Er wußte noch, daß er damals den Ausdruck, ins Herz der Welt geraten zu sein, gebraucht hatte. Gab es das? War es wirklich mehr als eine Umschreibung? Er war dem Anspruch der Mystik, daß man sich selbst aufgeben müsse, nur mit Ausschluß des Kopfes geneigt: aber mußte er sich nicht gerade darum eingestehn, daß er heute nicht viel mehr davon wisse als ehedem?!
    Er ging weiter diese Breiten entlang, die scheinbar nirgends in ihre Tiefen einließen. Ein andermal hatte er alles dies «das rechte Leben» genannt; wohl noch vor kurzem, wenn er nicht irrte; und erst wenn man ihn früher gefragt hätte, was er treibe, so hätte er auch während seiner exaktesten Beschäftigungen gewöhnlich keine andere Antwort darauf gehabt als die, daß sie Vorarbeiten für das rechte Leben seien. Daran nicht zu denken, war überhaupt unmöglich. Zwar ließ sich nicht sagen, wie es aussehen müßte, ja nicht einmal, ob es wirklich eines gebe, und es war vielleicht nur eine jener Ideen, die mehr ein Wahrzeichen als eine Wahrheit sind; aber ein Leben ohne Sinn, eines, das nur den sogenannten Erfordernissen gehorchte, und ihrem als Notwendigkeit verkleideten Zufall, somit ein Leben der ewigen Augenblicklichkeit – und da fiel ihm wieder ein Ausdruck ein, den er einmal gebildet hatte: Die Vergeblichkeit der Jahrhunderte! –: ein solches Leben war ihm einfach eine unerträgliche Vorstellung! Nicht weniger aber auch ein Leben «für etwas», diese von Meilensteinen beschattete Landstraßendürre inmitten undurchmessener Breiten. Das alles mochte er ein Leben vor der Entdeckung der Moral heißen. Denn auch das war eine seiner Ansichten, daß die Moral nicht von den Menschen geschaffen wird und mit ihnen wechselt, sondern daß sie geoffenbart wird, daß sie in Zeiten und Zonen entfaltet wird, daß sie geradezu entdeckt werden könne. In diesem Gedanken, der so

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