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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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hinaustreten, um da hinein Bedeutung zu bringen. Wir treten aus dem Zustand des Sinnvollen in den Stand des Notwendigen und Notdürftigen, aus dem Zustand des Lebens in die Welt des Toten. Aber nun, wo ich es niedergeschrieben habe, bemerke ich, daß es eine Tautologie und scheinbar etwas Nichtssagendes ist, was ich sage. Doch bevor ich schrieb, war in meinem Kopf: ‹Agathe gibt mir irgendeine Antwort, ein Zeichen; es macht mich glücklich›; und dann der Gedanke: ‹wir treten nicht aus der Welt des Geistes hinaus, um in eine des Ungeistes Geist zu setzen›. Und es schien mir, daß dieser Gedanke vollkommen sei und mit dem Hinaustreten genau das bezeichne, was ich meine. Ich brauche mich auch nur in diesen Zustand zurück zu versetzen, so scheint es mir noch so zu sein.
    Ich muß mich fragen, wie mich ein Fremder verstünde. Sage ich Bedeutung, so versteht er gewiß: das Bedeutende. Wenn ich Geist sage, versteht er zuvörderst Angeregtheit, lebhaftes Denken, Aufnehmen und Wollen. Und es erscheint ihm natürlich, daß man aus der Welt des Geistes hinaustreten und ihre Bedeutung ins Leben tragen müsse, ja er hält ein solches Bestreben nach ‹Vergeistigung› für die würdigste Erfüllung der menschlichen Aufgaben. Wie kann ich es ausdrücken, daß ‹Vergeistigen› schon Sündenfall ist, und ‹Nicht die Welt des Geistigen verlassen› ein Gebot, das keine Grade hat, sondern ganz oder gar nicht erfüllt wird?
    Mir ist inzwischen eine bessere Erklärung in den Sinn gekommen. Die Erregung, in der wir uns befinden, Agathe und ich, drängt nicht zu Handlungen und nicht zu Wahrheiten, das heißt: sie bricht nichts vom Rande ab, sondern fließt durch das, was sie hervorruft, wieder in sich selber zurück. Das ist allerdings nur eine Beschreibung der Form des Geschehens. Aber, wenn ich das, was ich erlebe, auf diese Art beschreibe, so erfasse ich die veränderte, ja ganz andere Rolle, die nun mein Verhalten, mein Handeln hat: Was ich tue, ist nicht mehr die Entladung meiner Spannung und die Endform eines Zustands, in dem ich mich befunden habe, sondern es ist ein Durchgang und Relais auf dem Rückweg zur Bedeutung!
    Allerdings hätte ich beinahe gesagt: ‹Rückweg zu einer Steigerung meiner Spannung› –; aber da fiel mir einer der Widersprüche ein, die unser Zustand aufweist, der nämlich, daß er keinen Fortschritt zeigt, also doch wohl auch keine Steigerung haben kann. Danach glaubte ich ‹Rückweg zu mir selbst› sagen zu sollen – so ungenau ist alles das! – aber der Zustand ist gar nicht egotistisch, sondern liebevoll-weltzugewandt. Und so habe ich eben wieder ‹Bedeutung› geschrieben, und das Wort steht gut und natürlich in seinem Zusammenhang, ohne daß es mir bisher gelungen wäre, seinen Inhalt herauszuschälen.
    So ungewiß das bleibt, hat mir aber immer ein Leben vorgeschwebt, dessen Hauptstück es wäre. Ich hatte bei jeder anderen Lebensführung das unklare Gefühl, es gesehen, vergessen und nicht wiedergefunden zu haben. Es hat mir die Befriedigung an allem, was bloß Rechnen und Denken ist, geraubt, hat mich aber auch nach jedem Abenteuer und von jeder Leidenschaft mit dem schalen Gefühl der Verfehlung nachhause kommen lassen, bis ich schließlich beinahe alle Lust am Wirken verlor. Das ist geschehen, weil ich mich durch nichts zwingen lassen wollte, den Bereich der Bedeutung zu verlassen. Nun könnte ich auch sagen, was ‹Motiv› ist. Motiv ist, was mich von Bedeutung zu Bedeutung führt. Es geschieht etwas oder es wird etwas gesagt, und das vermehrt den Sinn zweier Menschenleben und verbindet sie durch den Sinn, und was geschieht, welchen physischen oder rechtlichen Begriff es darstellt, bleibt dabei ganz gleichgültig, es gehört überhaupt nicht dazu.
    Aber kann ich mir vorstellen, was das in seiner ganzen Ausdehnung besagt, ach, nur in seiner nächsten? Ich muß es versuchen. Ein Mensch tut etwas: nein, ich darf nicht ausweichen, Professor Lindner tut etwas! Er erregt Agathes Neigung. Ich spüre dieses Geschehen, möchte es verderben und widerlegen und – in dem Augenblick, wo ich meiner Abneigung nachgebe, trete ich aus dem Kreis der Bedeutung hinaus. Was ich fühle, kann niemals Motiv für Agathe werden. Meine Brust mag voll Ärger oder Zorn, mein Kopf ein Arsenal spitzer und blitzender Einwände sein – mein Herz ist leer! Mein Zustand ist dann plötzlich negativ! Mein Zustand ist nicht mehr positiv! Da ist mir nun wieder ein wunderliches Begriffspaar unter die Finger

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