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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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folgen ... Wenn zwei Menschen in Zorn oder Liebe geraten, steigern sie sich gegenseitig auf eine ähnliche Weise. Aber die Eigenart der Erregung und der Bedeutung, die alles in dieser Erregung annimmt, ist eben das Außerordentliche.
    Könnte ich sagen, wir werden von dem Gefühl begleitet, in Einklang mit Gott zu leben, es wäre einfach; aber wie soll man voraussetzungslos beschreiben, was uns dauernd erregt? ‹In Einklang› ist richtig, aber womit ist nicht zu sagen. Wir werden von dem Gefühl begleitet, daß wir die Mitte unseres Wesen erreicht haben, die geheimnisvolle Mitte erreicht haben, wo die Fliehkraft des Lebens aufgehoben ist, wo die unaufhörliche Drehung des Erlebens aufhört, wo das laufende Band der Eindrücke und Ausstöße, das der Seele Ähnlichkeit mit einer Maschine gibt, stillsteht, wo die Bewegung Ruhe ist, daß wir an die Achse des Kreisels gelangt sind. Das sind symbolische Ausdrücke, und ich hasse diese Symbole geradezu, weil sie sich so leicht anbieten und unendlich ausbreiten, ohne etwas zu ergeben. Ich will es lieber noch einmal versuchen, und so nüchtern wie möglich: die Erregung, in der wir leben, ist die der Richtigkeit. Von diesem Wort, das in solcher Anwendung ebenso ungewöhnlich wie nüchtern ist, fühle ich mich ein wenig beruhigt. Zufriedenheit und Sättigung der Wünsche sind im Gefühl der Richtigkeit enthalten, Überzeugung gehört zu ihm und Stillung, es ist der tiefe Zustand, in den man nach Erreichen seines Ziels verfällt. Wenn ich fortfahre, mir das so darzustellen, und mich frage: welches Ziel ist erreicht; so weiß ich es nicht. Das ist schon wieder der Einklang mit dem unbezeichenbaren ‹Womit›. Und eigentlich ist es auch nicht ganz richtig, von einem Zustand des erreichten Ziels zu sprechen; zumindest ist es ebenso wahr, daß der Zustand von einem dauernden Eindruck der Steigerung begleitet ist. Aber es ist eine Steigerung ohne Fortschritt. Ebenso ist es ein Zustand des höchsten Glücks, führt aber nicht über ein schwaches Lächeln hinaus. Wir fühlen uns in jeder Sekunde emporgerissen, verhalten uns aber äußerlich wie innerlich ziemlich reglos; die Bewegung hört niemals auf, aber sie schwingt auf engstem Raum. Auch ist eine tiefe Sammlung mit einer weiten Zerstreutheit verbunden, und das Bewußtsein lebhafter Tätigkeit mit der Überwältigung durch ein Geschehen, das wir nicht genügend verstehen. So endet der Vorsatz, daß ich mich auf das Nüchternste beschränke, sogleich wieder in befremdlichen Widersprüchen. Aber das, was sich dem Geist so zerrissen darstellt, ist als Erlebnis von großer Natürlichkeit. Es ist einfach da; also müßte es auch dem richtigen Verständnis einfach sein!
    Auch besteht zwischen Agathe und mir nicht die geringste Verschiedenheit in der Meinung, daß die Frage: ‹Wie soll ich leben?›, die wir uns beide aufgegeben hatten, beantwortet ist: So soll man leben!
    Und manchmal erscheint es mir verrückt.»
    [◁]
66
    Das Ende der Eintragung. Lebende Gedanken
    «Ich sehe die Aufgabe nun doch deutlicher. Etwas gibt im menschlichen Leben dem Glück die Kürze, so sehr, daß Glück und Kürze scheinbar zusammengehören wie Geschwister. Es macht alle großen und glücklichen Stunden unseres Daseins zusammenhanglos, – eine Zeit, die in Stücken in der Zeit treibt, – und gibt allen anderen Stunden den notwendigen, den Not-Zusammenhang. Dieses Etwas bewirkt, daß wir ein Leben führen, das uns innerlich nicht berührt. Es bewirkt, daß man ebenso leicht Menschen fressen wie Dome bauen kann. Es ist die Ursache davon, daß immer nur ‹Seinesgleichen› geschieht, das bloß äußerlich Wirkliche. Es hat schuld daran, daß man von allen seinen Leidenschaften betrogen wird. Es ruft die sich immer wiederholende Vergeblichkeit der Jugend hervor und die sinnlose ewige Umwälzung der Zeiten. Dem ist es zuzuschreiben, daß bloß der Tätigkeitstrieb in Tätigkeit tritt, und nicht der Mensch, daß unsere Handlungen sich so notwendig vollziehen, als gehörten sie mehr zueinander als zu uns, daß unsere Erlebnisse in der Luft liegen, aber nicht in unserem Willen. Dieses Etwas ist gleichbedeutend damit, daß wir mit all dem Geist, den wir hervorbringen, nichts Rechtes anzufangen wissen, es bewirkt auch, daß wir uns selbst nicht lieben, daß wir uns wohl begabt finden mögen, aber alles in allem keinen Zweck darin sehen.
    Dieses Etwas ist: daß wir immer wieder aus dem Zustand der Bedeutung in das an und für sich Bedeutungslose

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