Gesammelte Werke
eine Vertrauensperson dort hat!»
Ulrich lächelte zu dieser Anzettelung und legte ihm den Arm um die Schulter; er fühlte sich an Diotima erinnert. «Was macht sie?» fragte er. «Erkennt sie jetzt in Tuzzi den Mann?»
«Was sie macht;» entgegnete der General verdrossen. «Einen gereizten Eindruck macht sie!»Und er fügte gutmütig hinzu: «Für den Blick des Kenners vielleicht sogar eher einen rührenden. Das Unterrichtsministerium läßt ihr doch kaum noch andere Aufgaben über, als zu entscheiden, ob in dem Festzug die vaterländische Gruppe ‹Wiener Schnitzel› mitmarschieren soll oder auch eine Gruppe ‹Rostbratl mit Nockerln› –»
Ulrich unterbrach ihn mißtrauisch. «Nun sagst du Unterrichtsministerium? Und gerade hast du erzählt, daß auf die Aktion das Außenministerium Beschlag gelegt hat!»
«Aber schau, vielleicht sind die Schnitzel sogar Sache des Ministeriums des Innern. Oder des Handelsministeriums. Wer weiß denn das im voraus!»belehrte ihn Stumm. «Der Weltfriedenskongreß als Ganzes gehört aber jedenfalls zum Ministerium des Äußern, soweit er nicht minder zu den zwei Ministerrats-Präsidien gehört.»
Wieder unterbrach ihn Ulrich. «Und das Kriegsministerium kommt in deinen Gedanken überhaupt nicht vor?»
«Aber sei doch nicht so argwöhnisch!» bat Stumm gelassen. «Natürlich nimmt an einem Weltfriedenskongreß auch das Kriegsministerium auf das lebhafteste Anteil; ich möchte sagen, nicht weniger als die Polizeidirektion von einem internationalen Anarchistenkongreß angezogen würde. Aber du weißt doch, wie diese Zivilministerien sind: nicht das kleinste Platzerl möchten sie unsereinem gönnen!»
«Und –?» fragte Ulrich; denn er verdächtigte noch immer Stumms Unschuld.
«Gar kein ‹und›!» versicherte dieser. «Du überstürzt das! Wenn eine gefährliche Sache mehrere Ministerien betrifft, so will sie entweder eins dem andern zuschieben, oder es will sie eins dem andern wegnehmen: in beiden Fällen ist das Ergebnis dieser Bemühungen, daß eine Interministerielle Kommission eingesetzt wird. Du brauchst dich doch bloß zu erinnern, wieviele Ausschüsse und Unterausschüsse die Parallelaktion anfangs hat gründen müssen, als Diotima noch im vollen Besitz ihrer Energie gewesen ist; und ich kann dir dann versichern, daß unser seliges Konzil ein Stilleben gewesen ist im Vergleich mit dem, was heute gearbeitet wird!» – Der Wagen wartete, der Kutscher saß in Strammstellung auf dem Bock, aber Stumm blickte durch das offene Gefährt unentschlossen in den hellgrün aufgeschlagenen Garten. «Kannst du mir vielleicht ein wenig bekanntes Wort mit ‹Inter› sagen?» bat er und zählte mit nachhelfendem Kopfnicken auf: «Interessant, interministeriell, international, interkurrent, intermediär, Interpellation, interdiziert, intern und einiges andere kenne ich; das kannst du nämlich bei uns am Büffet des Generalstabstrakts jetzt häufiger hören als das Wort Würstel. Aber wenn ich mit einem ganz neuen Wort ankäme, könnte ich darum Aufsehen machen!»
Ulrich lenkte des Generals Gedanken wieder auf Diotima zurück. Es leuchtete ihm ein, daß die oberste Führung beim Ministerium des Äußern sei, woraus mit Wahrscheinlichkeit folgte, daß sich die Zügel in Tuzzis Hand befanden: wie konnte dann aber ein anderes Ministerium der Frau des Mächtigen Kränkungen bereiten? Stumm zuckte bei dieser Frage trüb die Achseln. «Du hast dir halt immer noch nicht genug eingeprägt, daß die Parallelaktion ein Staatsvorgang ist!» gab er zur Antwort. Und fügte aus freien Stücken hinzu: «Der Tuzzi ist schlauer, als wir gedacht haben. Er selbst hätte ihr so etwas niemals zumuten können; aber die interministerielle Technik hat ihm gestattet, seine Frau einem anderen Ministerium auszuliefern!»
Ulrich lachte leise auf. Er konnte sich bei dieser in etwas sonderbare Worte gekleideten Nachricht lebhaft die beiden Menschen vorstellen: Die großartige Diotima – die Lichtanlage, wie sie von Agathe genannt wurde – und den kleineren, mageren Sektionschef, für den er eine schier unerklärliche Sympathie besaß, obgleich er sich von ihm geringschätzt wußte. Es war die Angst vor den Mondnächten der Seele, die ihn zu dem vernünftigen Gefühl dieses Mannes hinzog, das so männlich trocken wie eine leere Zigarrenschachtel war. Und doch hatten diesen Diplomaten die Leiden der Seele, als sie über ihn hereinbrachen, dahin gebracht, daß er in allem und jedem nur noch pazifistische
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