Gesammelte Werke
letzte Worte!»
Ulrich erinnerte sich dessen, was ihm die Liebespraktikerin Bonadea von der Theoretikerin Diotima erzählt hatte, und hielt Stumm dessen eigenen, kühleren Ausspruch vor, daß Diotima ein Lehrbuch der Liebe sei. Der General lächelte gedankenvoll dazu. «Wir beurteilen das vielleicht nicht allseitig genug» holte er umsichtig aus. «Ich will vorausschicken, daß ich vor ihr noch nie eine Frau so habe reden hören; und es legt sich mir wie ein Eisbeutel überall hin, wenn sie damit anfangt. Sie tut es übrigens schon wieder seltener; aber wenn es ihr einfällt, spricht sie auch heute noch zum Beispiel von diesem Weltfriedenskongreß als von einem ‹panerotischen Humanerlebnis›, und dann fühle ich mich kurzerhand von ihrer Gescheitheit entmannt. Aber» – und er hob die Bedeutung seiner Worte jetzt durch eine kleine Pause – «es muß doch ein Bedürfnis, ein sogenannter Zug der Zeit darin liegen, denn selbst im Kriegsministerium fangen sie jetzt so zu reden an. Seit dieser Kongreß aufgetaucht ist, könntest du Generalstabs-Stabsoffiziere von Friedensliebe und Menschenliebe sprechen hören wie vom Maschinengewehr Muster 7 oder vom Sanitätspackwagen Muster 82! Es ist einfach ekelhaft!»
«Darum hast du dich also vorhin einen enttäuschten Fachmann der Liebe genannt?» warf Ulrich ein.
«Ja, lieber Freund. Du mußt schon entschuldigen: ich habe es nicht ausgehalten, als ich auch dich so einseitig habe reden hören! Aber dienstlich ziehe ich aus alledem ja großen Vorteil!»
«Und hast du gar keinen Eifer mehr für die Parallelaktion, für die Ehrung der großen Ideen und ähnliches?» forschte Ulrich neugierig.
«Selbst eine so erfahrene Frau wie deine Kusine hat schon genug von der Kultur» gab der General zur Antwort. «Ich meine die Kultur um ihrer selbst willen. Überdies schützt dich auch die größte Idee nicht vor einer Ohrfeige!»
«Aber sie kann bewirken, daß die nächste Ohrfeige der andere kriegt.»
«Das ist richtig» räumte Stumm ein. «Aber nur, wenn du dich des Geistes bedienst, nicht wenn du ihm selbstlos dienst!» Dann blickte er neugierig zu Ulrich auf, um die Wirkung seiner nächsten Worte mitzugenießen, und fügte, in sicherer Erwartung des Erfolgs die Stimme senkend, hinzu: «Aber auch wenn ich das möchte, kann ich doch nicht mehr: man hat mich ja kaltgestellt!»
«Alle Achtung!» rief Ulrich aus, in unwillkürlicher Anerkennung der militärbehördlichen Einsicht. Aber dann folgte er einem andern Einfall und sagte rasch: «Das hat dir der Tuzzi eingerührt!»
«Aber gar keine Spur!» versicherte Stumm selbstgewiß.
Dieses Gespräch hatte bis dahin immer noch in der Nähe des Tores stattgefunden, und außer den beiden Männern war noch ein dritter daran beteiligt, indem er auf das Ende wartete und so reglos vor sich blickte, daß die Welt für ihn zwischen zwei Paaren Pferdeohren aufhörte. Nur seine in weißen Zwirnhandschuhen steckenden Fäuste, durch die die Züge! liefen, bewegten sich verstohlen, in unregelmäßigen, besänftigenden Rhythmen, weil die Pferde, der soldatischen Disziplin nicht ganz so zugänglich wie der Mensch, des Wartens immer überdrüssiger wurden und ungeduldig am Geschirr ruckten. Diesem Mann befahl der General nun endlich, den Wagen an die Ausfahrt zu bringen und dort die Pferde zu bewegen, bis er einstiege; Ulrich aber lud er jetzt ein, den Weg durch den Garten zu Fuß zurückzulegen, damit er ihm die Geschehnisse der Reihe nach anvertrauen könne, ohne daß es jemand zu hören vermöchte.
Aber Ulrich meinte das, worauf es ankäme, lebhaft vor sich zu sehen, und ließ ihn anfangs nicht zu Wort kommen. «Ob Tuzzi dich aus dem Spiel geschlagen hat oder nicht, ist auch gleichgültig,» führte er aus «denn du bist in diesem Fall, was du mir verzeihen wirst, nur eine Nebenfigur. Das Wesentliche ist, daß er fast mit dem Augenblick, wo er durch den Kongreß bedenklich geworden ist und mit einer schweren Belastungsprobe zu rechnen begonnen hat, sowohl den staatspolitischen Zustand als auch seinen persönlichen aufs schnellste vereinfacht hat. Er ist vorgegangen wie ein Kapitän bei Ankündigung eines schweren Sturms, der sich nicht von der noch träumenden See beeinflussen läßt. Was ihm bis dahin zuwider gewesen war, Arnheim, eure Militärpolitik, der deutsche Kurs, damit hat er sich jetzt verbündet; und er hätte sich auch mit den Bestrebungen seiner Frau verbündet, wenn es in Ansehung der Umstände nicht nützlicher gewesen wäre,
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