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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Aufzeichnungen abgebrochen.
    [◁]
70
    Große Veränderungen
    Ulrich hatte dem General das Geleite selbst gegeben, in der Absicht, auch das zu erfahren, was dieser vielleicht nur unter vier Augen sagen möchte. Die Treppe mit ihm hinabsteigend, trachtete er ihm zunächst eine harmlose Erklärung für sein Abrücken von Diotima und den anderen zu geben, damit die Wahrheit beiseite bleibe. Aber Stumm fragte unbefriedigt: «Bist du beleidigt worden?»
    «Nicht im mindesten.»
    «Dann hast du das Recht nicht dazu!» entgegnete der andere fest.
    Doch die Veränderungen in der Parallelaktion, von denen er in seiner Weltabgeschiedenheit nichts geahnt hatte, wirkten nun belebend auf Ulrich ein, als wäre in einem heißen Saal plötzlich ein Fenster aufgestoßen worden, und er fuhr fort: «Trotzdem möchte ich erfahren, was wirklich vor sich geht. Nachdem du es für gut befunden hast, mir die Augen halb zu öffnen, wirst du es gütigst auch noch zur Gänze tun!»
    Stumm blieb stehen, stützte den Säbel gegen den Stein der Treppe und schlug den Blick zu dem Gesicht seines Freundes auf; eine große Gebärde, die umso länger dauerte, als dieser eine Stufe höher stand: «Nichts lieber als das» sagte er. «Zu diesem Zweck bin ich ja gekommen!»
    «Wer arbeitet gegen Leinsdorf?» begann Ulrich ihn ruhig zu verhören. «Tuzzi mit Diotima? Oder das Kriegsministerium mit dir und Arnheim –?»
    «Lieber Freund, du irrst durch Abgründe!» unterbrach ihn Stumm. «Und an der einfachen Wahrheit gehst du blind vorbei, wie es anscheinend alle geistigen Menschen tun! Vor allem bitte ich dich also überzeugt zu sein, daß ich dir den Wunsch des Leinsdorf, daß du wieder zu ihm und Diotima kommen sollst, nur aus selbstlosester Gefälligkeit ausgerichtet habe –»
    «Offiziersehrenwort?»
    Der General wurde guter Laune. «Wenn du mich an die spartanische Ehre meines Berufs erinnerst, beschwörst du die Gefahr, daß ich dich erst recht anlüge; denn es könnte mich ja ein höherer Auftrag dazu verpflichten. Ich gebe dir also lieber mein Privatehrenwort» sagte er würdig und fuhr erläuternd fort: «Ich beabsichtige dir sogar anzuvertraun, daß ich mich in letzter Zeit zuweilen gezwungen sehe, über solche Schwierigkeiten nachzudenken; ich lüge jetzt nämlich oft mit einem Behagen, wie sich ein Schwein im Unrat wälzt.» Er wandte sich plötzlich seinem höher stehenden Freund voll zu und schloß die Frage an: «Woher kommt es, daß das Lügen so angenehm ist, vorausgesetzt, daß man eine Entschuldigung dafür hat? Bloß die Wahrheit zu sagen, erscheint einem geradezu unfruchtbar und gedankenlos daneben! Wenn ich das von dir erfahren könnte, wäre es direkt einer der Gründe, warum ich dich aufgesucht habe.»
    «Dann teile mir ehrlich mit, was vor sich geht» verlangte Ulrich unnachgiebig.
    «Ganz ehrlich, und auch überaus einfach: ich weiß es nicht!» beteuerte Stumm.
    «Aber du hast doch einen Auftrag!» forschte Ulrich.
    Der General gab zur Antwort: «Ich bin trotz deines wirklich unfreundschaftlichen Verschwindens über die Leiche meiner Selbstachtung weggestiegen, um ihn dir anzuvertraun. Aber es ist ein Teilauftrag. Ein Auftragerl! Ich bin jetzt ein Rädchen. Ein Fädchen. Eine Amorette, in deren Köcher man nur noch einen einzigen Pfeil gelassen hat ...!» Ulrich betrachtete die rundliche Figur mit den goldenen Knöpfen. Stumm war entschieden selbständiger geworden; er wartete auch die Entgegnung Ulrichs nicht ab, sondern setzte sich, dem Ausgang zu, in Bewegung, wobei sein Säbel auf jeder Stufe klirrte. Und als sich unten die Halle um die beiden wölbte, deren adelige Anlage ihm sonst jedesmal Ehrerbietung vor dem Hausherrn eingeflößt hatte, sprach er über die Schulter zurück zu diesem: «Du hast offenbar immer noch nicht ganz erfaßt, daß die Parallelaktion jetzt nicht mehr ein Privat- und Familienunternehmen ist, sondern ein Staatsvorgang von internationaler Größenordnung!»
    «Also leitet sie jetzt der Außenminister?» gab Ulrich zurück.
    «Wahrscheinlich.»
    «Und somit Tuzzi?»
    «Vermutlich; ich weiß es aber nicht» fügte Stumm rasch hinzu. «Und er tut natürlich auch so, als ob er von nichts wüßte! Du kennst ihn doch: diese Diplomaten stellen sich ja selbst dann unwissend, wenn sie es wirklich sind!» –
    Sie durchschritten den Eingang, und der Wagen fuhr vor. – Plötzlich wandte sich Stumm, vertraulich, und komisch flehend, an Ulrich: «Gerade darum sollst du doch wieder ins Haus gehn, damit man quasi

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