Gesammelte Werke
Machenschaften sah; denn Pazifismus, das war für Tuzzi die faßlichste Vorstellung von Seelenhaftigkeit! Ulrich entsann sich, daß er schließlich Arnheims offenbar gewordene Bemühungen um die Ölfelder, ja sogar die um seine eigene schöne Gattin, bloß für ein Degagement gehalten hatte, dazu bestimmt, die Aufmerksamkeit von einem geheimen Vorhaben pazifistischer Natur abzulenken: so sehr hatten Tuzzi die Geschehnisse in seinem Hause verwirrt! Er mußte unerhört gelitten haben, und es war zu verstehen: die geistige Leidenschaft, der er sich unerwartet gegenüber sah, verletzte ja nicht bloß seinen Ehrbegriff, wie es ein körperlicher Ehebruch getan hätte, sondern traf unmittelbar das Begriffsbildungsvermögen selbst mit Geringschätzung, das bei älteren Männern der wahre Ruhesitz der Manneswürde ist.
Und vergnügt setzte Ulrich seine Gedanken laut fort:
«Offenbar hat Tuzzi in dem Augenblick, wo die Vaterländische Aktion seiner Frau zum Ziel einer öffentlichen Fopperei geworden ist, gleich den verlorenen vollen Besitz der behördlichen Geisteskräfte wieder erlangt, die einem hohen Beamten zukommen. Er muß spätestens da wieder erkannt haben, daß im Schoß der Weltgeschichte mehr geschieht, als im Schoß einer Frau Platz hätte, und euer wie ein geheimnisvolles Findelkind aufgetauchter Weltfriedenskongreß wird ihn mit einem Donnerschlag geweckt haben!» Mit rauhem Behagen malte sich Ulrich den geisternden Dämmerzustand aus, der vorangegangen sein mußte, und dann dieses Erwachen, das vielleicht gar nicht einmal mit einem Gefühl des Erwachens verbunden gewesen sein mußte; denn in dem Augenblick, wo die in Schleiern wandelnden Seelen Arnheims und Diotimas wirkliche Folgen hatten, befand sich auch Tuzzi, von jedem Spuk befreit, wieder in jenem Bereich der Notwendigkeiten, worin er sich zeit seines Lebens fast immer befunden hatte. «Er bringt die Weltrettungs- und Vaterlandshebungsgesellschaft seiner Frau jetzt um? Sie ist ihm immer ein Dorn im Fleische gewesen!» rief Ulrich lebhaft befriedigt aus und wandte sich fragend an den Gefährten.
Stumm stand noch immer rund und nachdenklich im Torbogen. «Soviel ich weiß, hat er seiner Frau erklärt, daß sie es sich und seiner Stellung schulde, erst recht unter den geänderten Verhältnissen die Parallelaktion zu einem ehrenvollen Ende zu führen. Sie wird eine Auszeichnung erhalten. Aber sie muß sich dem Schutz und den Einsichten des Ministeriums anvertraun, das er dafür bestimmt hat» berichtete er gewissenhaft.
«Und mit euch, ich meine mit dem Kriegsministerium und mit Arnheim, hat er Frieden geschlossen?»
«Es scheint so. Er soll bei der Regierung wegen des Friedenskongresses die rasche Modernisierung unserer Artillerie unterstützt und sich mit dem Kriegsminister über die politischen Folgen verständigt haben. Man sagt, daß er im Parlament die nötigen Gesetze mit Hilfe der deutschen Parteien durchdrücken will und darum innerpolitisch jetzt zum deutschen Kurs rät. Das hat mir Diotima selbst erzählt.»
«Warte einen Augenblick!» unterbrach ihn Ulrich. «Deutscher Kurs! Ich habe alles vergessen!»
«Ganz einfach! Er hat immer gesagt, daß alles Deutsche für uns ein Unglück sei; und jetzt sagt er das Gegenteil.»
Ulrich wandte ein, daß sich Sektionschef Tuzzi niemals so eindeutig ausdrücke.
«Aber gegen seine Frau tut er es» versetzte Stumm. «Und zwischen ihr und mir besteht eine Art Schicksalsverbundenheit.»
«Ja wie steht es denn zwischen ihr und Arnheim?» fragte Ulrich, der in diesem Augenblick mehr an Diotima teilnahm als an den Regierungssorgen. «Er braucht sie doch jetzt nicht mehr; und ich nehme an, daß seine Seele darunter leidet!»
Stumm schüttelte den Kopf. «Das ist scheinbar auch nicht so einfach!» erklärte er seufzend.
Er hatte bisher gewissenhaft, jedoch teilnahmlos Antwort erteilt, und vielleicht gerade deshalb verhältnismäßig klug. Schon seit der Erwähnung Diotimas und Arnheims sah er aber aus, als wolle er etwas anderes zum besten geben, das ihn wichtiger dünke als Tuzzis Rückkehr zu sich selbst. «Man möchte ja schon lange glauben,» begann er nun «daß Arnheim genug von ihr hat. Aber das sind große Seelen! Du magst wohl auch etwas von solchen verstehn, aber die sind es! Da läßt sich nicht sagen: war etwas zwischen ihnen, oder war nichts zwischen ihnen. Sie sprechen noch heute so wie früher; bloß hat man das Gefühl: jetzt ist bestimmt nichts zwischen ihnen. Sie reden eben sozusagen immer
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