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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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das wir nicht immer mit Bestimmtheit erkennen; die neuer begründete schreibt dagegen die Unbestimmtheit dem Gefühl selbst zu und sucht sie aus seinem Wesen zu verstehen und bündig abzugrenzen.
    In einem Anhang folgten nun noch einzelne Beispiele, die eigentlich Randbemerkungen hätten sein sollen, an der ihnen zugedachten Stelle aber unterdrückt worden waren, damit sie die Darlegung nicht unterbrächen. Und so gehörten diese aus dem Zusammenhang geratenen Nachzügler nun auch nicht mehr zu einer bestimmten Stelle, obwohl sie zum Ganzen gehörten und Einfälle zu dessen möglicher Anwendung festhielten:
    «Was in die Beziehung ‹Etwas lieben› so ungeheure Unterschiede trägt wie den zwischen Gottesliebe und Liebe zum Fischen, ist nicht die Liebe, sondern das ‹Etwas›. Das Gefühl selbst – das Hangen, Bangen, Begehren, Sehren, Zehren: mit einem Wort, das Lieben – läßt einen Unterschied nicht erkennen.»
    «Seinen Spazierstock oder die Ehre zu lieben, ist aber ebenso gewiß nicht nur darum tausend und eins, weil diese beiden einander nicht gleichen, sondern auch weil der Gebrauch, den wir von ihnen machen, die Umstände, unter denen sie wichtig werden, kurz, die ganze Erfahrungsgruppe verschieden ist. Es ist die Unverwechselbarkeit einer Erfahrungsgruppe, woraus wir die Sicherheit gewinnen, unser Gefühl zu kennen. Darum kennen wir es in Wahrheit erst, nachdem es in die Welt gewirkt und sich an ihr ausgestaltet hat; wir wissen nicht, was wir fühlen, ehe nicht unser Handeln darüber entschieden hat.»
    «Und wo wir sagen, unser Gefühl sei geteilt, dort sollten wir eher sagen, es sei noch nicht fertig oder wir seien noch nicht festgelegt.»
    «Und wo es als Widerspruch oder paradoxe Vermischung erscheint, liegt oft etwas anderes vor. Wir sagen, der Tapfere achte des Schmerzes nicht; in Wahrheit schäumt aber das bittere Salz des Schmerzes in der Tapferkeit auf. Und im Märtyrer hebt es sich flammend zum Himmel. Im Feigen dagegen gewinnt der Schmerz durch die ihn erwartende Angst unerträgliche Verdichtung. Noch deutlicher als diese Beispiele ist das des Abscheus, zu dem, mit Gewalt angetan, gerade die Empfindungen werden, die, freiwillig empfangen, höchste Wollust sind. Natürlich sind da verschiedene Quellen, und es entstehen auch Mischungen; vornehmlich entstehen aber verschiedene Richtungen der Ausbildung des vorherrschenden Gefühls.»
    «Weil sie beständiger Fluß sind, lassen sich Gefühle nicht anhalten; sie lassen sich also nicht ‹unter die Lupe› nehmen; das heißt, je genauer wir sie beobachten, desto weniger wissen wir, was wir fühlen. Die Aufmerksamkeit ist schon eine Veränderung des Gefühls. Wären sie aber eine ‹Mischung›, müßte diese eigentlich im Augenblick des Anhaltens am deutlichsten sein, auch wenn sich die Aufmerksamkeit einmischt.»
    «Weil die äußere Handlung keine selbständige Bedeutung für die Seele hat, lassen sich Gefühle nicht nach ihr allein unterscheiden. Unzähligemal wissen wir nicht, was wir fühlen, obgleich wir lebhaft und entschieden handeln. Auf dieser Undeutlichkeit beruht sodann die ungeheure Zweideutigkeit dessen, was ein argwöhnisch oder eifersüchtig beobachtender Mensch tut.»
    «Die Undeutlichkeit des Gefühls beweist aber nicht etwa seine Schwäche, denn gerade im höchsten Fühlen vergehen die Gefühle. Schon in den hohen Graden sind sie äußerst labil; siehe zum Beispiel den ‹Mut der Verzweiflung› oder das Umschlagen von Glück in Schmerz. Auch bewirken sie da widerspruchsvolle Handlungen, wie Lähmung statt Flucht oder vom eigenen Zorn ‹Erwürgtwerden›. Bei ganz heftigen Erregungen verlieren sie aber sozusagen ihre Farbe, so daß bloß eine tote Empfindung der sie begleitenden körperlichen Erscheinungen übrig bleibt, des Schauders der Haut, des Rasens des Bluts, der Ferne der Sinne. Und vollends in den höchsten Graden tritt geradezu eine Blendung ein, so daß sich sagen ließe, daß die Einrichtung des Gefühls, und damit die ganze Welt unseres Gefühls, nur für mittlere Grade gilt.»
    «In diesen durchschnittlichen Graden erkennen und benennen wir ein Gefühl natürlich nicht anders als andere Erscheinungen, die im Fluß sind, um das nochmals zu sagen. Die Unterscheidung zwischen Haß und Zorn festzulegen, ist so leicht und so schwer wie die zwischen Mord und Totschlag oder einem Becken und einer Schüssel zu bestimmen. Es waltet nicht Namenswillkür, aber jede Seite und Biegung kann dem Vergleich und der Begriffsbildung

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