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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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jeder auf die Augenblickswirkung zugespitzten Vorstellung ablassen. Und gäbe man sich schließlich auf die Weise zufrieden, daß für das Quellengebiet des Gefühls andere Gesetze und Zusammenhänge gelten sollen als für den Austritt, wo es als inneres und äußeres Geschehen wahrnehmbar wird, so stieße man wieder auf den Mangel, daß jede Vorstellung davon noch fehlt, nach welchem Gesetz sich der Übergang von den bewirkenden Kräften zum bewirkten Gebilde vollziehen könnte. Vielleicht läßt sich die Annahme einer lockeren, allgemeinen, den ganzen Verlauf umfassenden Einheit damit vereinen, daß aus ihr am Ende eine bestimmte und feste hervortritt: aber diese Frage reicht über die Psychologie hinaus, und sie reicht auch gegenwärtig noch über unser Können hinaus.»
    «Dieser Bescheid, daß sich im Werdegang eines Gefühls wohl von der Quelle bis zur Mündung eine Einheit andeute, nicht aber gesagt werden könne, wann und wie sie die geschlossene Form annehme, die dem vollkommen ausgebildeten fühlenden Verhalten zu eigen sein soll (und zu deren Darlegung ich die Fügung einer Melodie als Beispiel benutzt habe): dieser recht abschlägige Bescheid gestattet merkwürdigerweise, einen Gedanken anzuknüpfen, durch den die bis jetzt verzögerte Antwort auf die Frage, wie der Begriff des Gefühls in der neueren Forschung aussieht, zu einem eigenartigen Abschluß kommt. Es ist das Zugeständnis, daß das wirkliche Geschehen überhaupt nicht ganz, und auch nicht in seiner Endgestalt, dem gedanklichen Bild entspreche, das man sich von ihm gemacht habe, was sich in einer Art doppelter Verneinung nützlich erweist. Man sagt sich: Es ist wirklich vielleicht nie die reine Einheit da, die nach der Theorie das Gesetz des fertigen Gefühls darstellt; ja es mag sie gar nicht geben können, weil sie so vollkommen in sich abgezirkelt wäre, daß sie keinerlei Einflüsse mehr aufnehmen könnte; aber, so sagt man sich nun, – es ist ja auch nie ein vollkommen abgezirkeltes Gefühl da! Mit anderen Worten: Gefühle kommen nie rein, sondern stets bloß in annähernder Verwirklichung zustande. Und nochmals mit anderen Worten: Der Vorgang der Ausgestaltung und Verfestigung kommt niemals zu Ende.»
    «Nun ist das aber nichts anderes, als allenthalben jetzt das psychologische Denken kennzeichnet. Man sieht in den seelischen Grundbegriffen ohnehin bloß gedankliche Vorlagen, nach denen sich das innere Geschehen ordnen läßt, erwartet aber nicht mehr, daß es sich wirklich aus Elementen solcher Art aufbaue wie ein Vierfarbendruck.
    In Wahrheit sind nach dieser Anschauung die reinen Beschaffenheiten des Gefühls, der Vorstellung, der Empfindung und des Willens in der inneren Welt so wenig anzutreffen wie etwa in der äußeren ein Stromfaden oder ein schwerer Punkt, und es gibt bloß ein verflochtenes Ganzes, das bald zu wollen und bald zu denken scheint, weil diese oder jene Beschaffenheit in ihm überwiegt.
    Es bezeichnen die Namen der einzelnen Gefühle also bloß Typen, denen die wirklichen Erlebnisse nahekommen, ohne daß sie aber mit ihnen ganz übereinfielen; und damit tritt, mag alles das auch ein wenig grob gesprochen sein, an die Stelle des Axioms der älteren Psychologie, wonach das Gefühl, als eines der elementaren Erlebnisse, eine unverwechselbare Beschaffenheit hätte, oder auf eine Weise erlebt würde, die es von den anderen Erlebnissen ein für allemal unterschiede, ein Leitsatz ungefähr folgenden Inhalts: Es gibt keine Erlebnisse, die von Anfang an ein bestimmtes Gefühl sind, ja nicht einmal Gefühl schlechthin; sondern es gibt bloß Erlebnisse, die dazu berufen sind, zum Gefühl und zu einem bestimmten Gefühl zu werden.
    Auch die Vorstellung der Ausgestaltung und Verfestigung erhält dadurch die Bedeutung, daß sich in diesem Vorgang das Gefühl und Verhalten nicht nur ausbilde, verfestige und, soweit es ihm gegeben ist, bestimme, sondern daß es in ihm überhaupt erst entstehe: also daß zu Anfang niemals genau dieses oder jenes bestimmte Gefühl – etwa in schwachem Zustand – mitsamt seiner Handlungsweise vorhanden ist, sondern bloß etwas, das dazu bestimmt und geeignet ist, ein solches Gefühl und Handeln zu werden, was sich aber niemals rein vollendet.»
    «Natürlich ist dieses Etwas aber auch nicht völlig beliebig; soll es doch etwas sein, das zum voraus und seiner Anlage nach dazu bestimmt oder geeignet ist, ein Gefühl, und dazu ein bestimmtes Gefühl, zu werden. Denn Zorn ist schließlich nicht

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