Gesammelte Werke
jetzt noch gab, obwohl bloß sehr brüchige. So bereitete ihm das, was er als «Rückkehr des Sektionschefs Tuzzi von der Inseite des Gefühls zu dessen äußerer Behandlung» bezeichnet hatte, das tiefere Vergnügen, ihn daran zu erinnern, daß seine Aufzeichnungen einer Unterscheidung dieser beiden Seiten des Gefühls zustrebten. Er sah aber auch Diotima in ihrer Schönheit vor sich, die anders als die Agathes war, und es schmeichelte ihm, daß sie seiner noch gedachte, obgleich er ihr auch die Züchtigung durch ihren Gatten wieder von Herzen gönnte, in den Minuten, wo dieses Herz sozusagen wieder im Fleische wandelte. Er entsann sich nun von allen mit ihr geführten Gesprächen gerade des einen, worin sie es als nicht unmöglich hingestellt hatte, daß in der Liebe okkulte Kräfte entstünden; es war ihre Liebe zu dem reichen Mann, der auch Seele haben wollte, die ihr das eingab, und so dachte er nun auch an Arnheim. Ulrich war ihm noch die Antwort auf das gefühlvolle Angebot schuldig, das ihm Einfluß auf das wirkende Leben verschaffen sollte, und fragte sich deshalb, was wohl aus dem ebenso großmütigen und nicht minder unbestimmten Heiratsantrag geworden sein möge, der einst Diotima berauscht hatte. Wahrscheinlich das gleiche; Arnheim würde sein Wort halten, wenn man ihn daran erinnerte, hatte aber nichts dagegen, daß man es vergaß. Die höhnische Spannung, die bei der Erinnerung an Diotimas Höchstzeit in seinem Gesicht hervorgetreten war, milderte sich wieder. Es wäre eigentlich ganz anständig von ihr, daß sie Arnheim nicht festhielt, dachte er. Eine vernünftig sprechende Stimme in ihrem übervölkerten Inneren. Sie hätte zuweilen nüchterne Anwandlungen, wo sie sich von allem Höheren verlassen fühle, und wäre dann ganz nett. Irgendeine kleine Zuneigung inmitten aller Abneigung hatte Ulrich immer für sie gefühlt und wollte nun nicht ausschließen, daß sie endlich selbst bemerkt habe, welch lächerliches Paar sie mit Arnheim abgab: sie bereit, das Opfer des Ehebruchs zu bringen, Arnheim das Opfer der Heirat, so daß sie wieder nicht zusammenkamen und sich schließlich etwas Himmlisch-Unerreichbares einredeten, um sich des Erreichbaren zu überheben. Als ihm aber Bonadeas Erzählung von der Liebesschule Diotimas einfiel, sagte er sich am Ende, sie wäre doch eine unbehagliche Person und nichts schlösse aus, daß sie ihre gesamte Liebeskraft einmal auch noch auf ihn werfen könnte.
So ungefähr hatte Ulrich seine Gedanken nach dem Gespräch mit Stumm weiterlaufen lassen, und es war ihm vorgekommen, so müßten wohlbeschaffene Menschen denken, wenn sie sich auf herkömmliche Art miteinander beschäftigten; ihm selbst aber war es ganz ungewohnt geworden.
Und als er das Haus betreten hatte, war alles das ins Nichts verschwunden. Er zögerte einen Augenblick, wieder vor seinem Schreibtisch stehend, und ließ seine Aufzeichnungen durch die Finger gleiten.
Er überlegte. In seinen Papieren schlossen sich an die begriffliche Darlegung des Gefühls gleich einige Bemerkungen über ekstatische Zustände an, und er fand diesen Platz richtig. Ein Verhalten, das ganz unter der Herrschaft eines einzelnen Gefühls stand, wie er es gelegentlich erwähnt hatte, war doch wohl schon ein ekstatisches. Dem Zorn oder der Angst Verfallensein ist eine Ekstase. Die Welt vor den Augen eines Einzelnen, der nur Rot oder Bedrohung sieht, hält freilich nicht lange vor, man spricht darum auch nicht von einer Welt, sondern nur von Eingebungen und Täuschungen; wenn aber Massen ihr erliegen, entstehen Halluzinationen von furchtbarer Kraft und Ausdehnung.
Eine andere Ekstase, die er auch schon angedeutet hatte, war die der höchsten Gefühlsgrade. Werden diese erreicht, so ist das Handeln nicht mehr einseitig, sondern wird im Gegenteil unsicher, ja oft widersinnig; die Welt verliert in einer Art kalter Glut ihre Farben; und das Ich geht verloren bis auf die leere Hülle. Dieses Hören- und Sehen-Vergehn ist ja wohl eine verarmende Ekstase – übrigens ist jeder verzückte Seelenzustand ärmer an Mannigfaltigkeit als der gewöhnliche – und wichtig wird es nur durch seine Verbindung mit der orgiastischen Ekstase, der rasenden Verzückung, oder mit dem Zustand unerträglicher körperlicher Anstrengungen, verbissener Willensäußerungen, schwerer Qualen, zu denen allen es den letzten Teil bilden kann. Ulrich hatte der Kürze wegen die überquellende und die versiegende Form des Sichverlierens in diesen Beispielen
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