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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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seine unsachlichen Vorstellungen, auf die aus wechselndem Gefühl geborenen, schwankenden Ideen und Ideologien, Gedanken, Anschauungen und Haltungen des Geistes, die das historische Leben hintereinander und nebeneinander beherrschen, hebt sich ebenfalls auf, wenngleich zum Gegenteil der Gewißheit, wenngleich schlimmer als zu nichts, zum Zufall, zu ohnmächtiger Unordnung und Wandelbarkeit, kurz zu dem, was Ulrich unwillig «Sache des Gefühls» nannte.
    Er hätte diesen Hinweis gerne genauer ausgebildet, als er ihn wieder las; konnte es aber nicht tun, weil der Gedankengang, dessen Niederschrift hier endete und noch in Schlagworten ein Stück weiterging, von ihm forderte, daß er Näherliegendes zum Abschluß bringe. Denn wenn wir das intellektuelle, das der Wirklichkeit entsprechende Bild der Welt (und mag es immer bloß Bild sein, ist es doch das richtige Bild) unter der Voraussetzung eines bestimmten Gefühlszustandes entwerfen, so war nun wohl jetzt an der Reihe zu fragen, was geschähe, wenn wir ebenso wirkungsvoll nicht von ihm, sondern von anderen Gefühlszuständen beherrscht würden. Daß dies keine ganz sinnlose Frage ist, geht schon daraus hervor, daß jeder starke Affekt das Bild der Welt auf seine Weise verzerrt; und ein tief Schwermütiger oder ein Heiter-Verstimmter könnten gegen die «Einbildungen» eines neutralen und ausgeglichenen Menschen einwenden, daß sie beileibe nicht sowohl durch ihr Blut düster oder heiter seien als vielmehr wegen ihrer Erfahrungen in einer Welt, die voll schwerer Düsternis oder himmlischer Leichtigkeit steht. Und so, wie sich ein Bild der Welt auf Grund der Vorherrschaft eines Gefühls oder einer Gruppe von Gefühlen denken läßt, zum Beispiel auch der orgiastischen, kann es auch darauf beruhen, daß überhaupt das Gefühl vorangestellt wird wie in der schwärmerischen und gefühlvollen Verfassung eines einzelnen oder einer Gemeinschaft; vollends ist es aber alltäglich, daß sich auf Grund von bestimmten Ideengruppen die Welt verschieden malt und daß das Leben, bis zum offenkundigen Abersinn, verschieden gelebt wird.
    Ulrich war nicht im mindesten gesonnen, die Erkenntnis für einen Irrtum oder die Welt für eine Täuschung zu halten, doch schien es ihm zulässig zu sein, daß man nicht nur von einem veränderten Weltbild, sondern auch von einer anderen Welt spreche, wenn statt des Fühlens, das der Anpassung an die Wirklichkeit dient, ein anderes vorherrscht. Diese Welt wäre «unwirklich» in dem Sinne, daß ihr fast jede Sachlichkeit fehlte; es gäbe in ihr keine der Natur angepaßten Vorstellungen, Berechnungen, Entscheidungen und Handlungen, und es könnten Zerwürfnisse unter Menschen vielleicht längere Zeit ausbleiben, wären aber, einmal vorhanden, kaum zu heilen. Aber schließlich wäre das nur dem Grade nach anders als in unserer Welt, und über die Möglichkeit entscheidet nur die Frage, ob eine unter solchen Bedingungen stehende Menschheit noch lebensfähig bliebe und eine gewisse Stetigkeit im Kommen und Gehn der Zugriffe der Außenwelt und in ihrem eigenen Verhalten erzielen könnte. Und es läßt sich vieles aus der Wirklichkeit entfernt oder durch anderes ersetzt denken, ohne daß in der so entstehenden Welt nicht noch Menschen leben könnten. Es ist vieles der Wirklichkeit fähig und weltfähig, was in einer bestimmten Wirklichkeit und Welt nicht vorkommt.
    Nachdem Ulrich das geschrieben hatte, war er nicht gerade zufrieden damit, denn er mochte nicht haben, daß es so aussehe, als wären alle diese möglichen Wirklichkeiten gleichberechtigt. Er stand auf und durchwanderte sein Zimmer. Es fehlte noch etwas von der Art einer Unterscheidung zwischen «Wirklichkeit» und «voller Wirklichkeit» oder der Unterscheidung zwischen «Wirklichkeit für jemand» und «wirklicher Wirklichkeit» oder, mit anderen Worten, es fehlte eine Ausführung der Rangunterschiede des Anspruches auf Wirklichkeits- und Weltgeltung und eine Begründung dessen, daß wir für das, was uns unter allen Umständen als wirklich und wahr gilt, einen von ausführbaren Bedingungen abhängigen Vorrang vor dem beanspruchen, was nur unter besonderen Umständen gilt. Denn einerseits findet sich ja auch ein Tier trefflich in der Wirklichkeit zurecht, und weil es das gewiß nicht in völliger seelischer Finsternis tut, muß selbst in ihm etwas sein, das den menschlichen Vorstellungen von Welt und Wirklichkeit entspricht, ohne daß es mit ihnen auch nur die geringste Ähnlichkeit deshalb

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