Gesammelte Werke
zusammengeworfen, und das nicht ohne Recht; denn wenn der Unterschied von anderem Gesichtspunkt auch ganz bedeutend war, so wuchs er doch in Hinblick auf die letzten Äußerungen fast zu. Der orgiastisch Verzückte springt in sein Verderben wie in ein Licht, und Zerreißen oder Zerrissenwerden sind ihm lodernde Liebesgeschehnisse und Freiheitstaten, ähnlich wie sich, bei aller Verschiedenheit, der tief Ermüdete und der tief Verbitterte in sein Unheil fallen läßt und in diesem letzten Geschehnis die Erlösung, also auch etwas empfängt, das von Freiheit und Liebe versüßt wird. So verschmelzen Tun und Erleiden in den höchsten Graden, wo sie noch erlebt werden.
Diese Ekstasen der Alleinherrschaft und der Krisis eines Gefühls sind aber natürlich mehr oder minder bloß Gedankenbilder, und die wirklichen Ekstasen – mögen es die mystischen, die kriegerischen, die von Liebes- oder anderen enthusiastischen Gemeinschaften sein – haben immer eine Gruppe untereinander verwandter Gefühle zur Voraussetzung und entstehen aus einem Ideenkreis, der diese widerspiegelt. In wenig fester, sich gelegentlich verhärtender und gelegentlich wieder auflösender Form sind solche unwirkliche, im Sinn von besonderen Ideen- und Gefühlsgruppen gestaltete Weltbilder (als Weltanschauung, als persönlicher Pips) im Alltag so häufig, daß die meisten von ihnen gar nicht als Ekstasen angesehen werden, obwohl sie deren Vorzustand ungefähr auf die gleiche Art sind, wie ein feuersicheres Zündholz in seiner Schachtel den Vorzustand eines brennenden Zündholzes bedeutet.
An letzter Stelle hatte Ulrich dann noch vorgemerkt, daß ein seinem Wesen nach ekstatisches Weltbild auch dann entsteht, wenn das Gefühl und die ihm dienenden Ideen schlechthin der Nüchternheit und der Überlegung vorangestellt werden; es ist das schwärmerische, das gefühlvolle Weltbild, das enthusiastische Leben, das es zuzeiten in der Literatur, und wahrscheinlich in größeren oder kleineren Lebensgemeinschaften teilweise auch wirklich gegeben hat. Nur fehlte in dieser Aufzählung freilich gerade das, was Ulrich am wichtigsten war, die Anführung des einen und einzigen Seelen- und Weltzustands, den er für eine Ekstase hielt, die der Wirklichkeit ebenbürtig sein könnte; aber seine Gedanken drängten jetzt vom Gegenstand ab, denn wenn er sich über die Würdigung dieser verführerischesten Ausnahme schlüssig werden wollte, war es unbedingt nötig – und wurde ihm auch dadurch nahegelegt, daß er in unsicherem Wechsel bald von einer Welt, bald bloß von einem Weltbild der Ekstase gesprochen hatte – zuvor die Beziehung kennen zu lernen, die zwischen unserem Gefühl und der wirklichen, das ist der Welt besteht, der wir, im Gegensatz zu den Illusionen der Ekstase, diese Geltung zusprechen.
Die Maße, mit denen wir diese Welt ermessen, sind aber die der Erkenntnis, und die Bedingungen, unter denen das geschieht, sind gleichfalls die ihren. Das Erkennen hat aber – mag auch die feinere und feinste Darlegung seiner Grenzen und Rechte dem Verstand recht große Schwierigkeiten in den Weg stellen – gerade im Verhältnis zum Gefühl eine leicht zu gewahrende und bezeichnende Eigentümlichkeit, nämlich die, daß wir, um zu erkennen, unsere Gefühle möglichst beiseitelassen müssen. Wir schalten sie aus, um «objektiv» zu sein, oder versetzen uns in einen Zustand, worin sich die verbleibenden Gefühle gegenseitig unwirksam machen, oder überlassen uns einer Gruppe kühler Gefühle, die mit Vorsicht behandelt, dem Erkennen selbst förderlich sind. Was wir in diesem nüchternen Zustand erkennen, ziehen wir zum Vergleich heran, wenn wir in anderen Fällen von «Täuschungen» durch das Gefühl sprechen; und somit ist ein Nullzustand, ein Neutralisationszustand, kurz ein bestimmter Gefühlszustand, die stillschweigende Voraussetzung der Erfahrungen und Denkvorgänge, mit deren Hilfe wir das, was uns andere Gefühlszustände vorspiegeln, bloß für subjektiv halten. Eine jahrtausendelange Erfahrung hat bestätigt, daß wir noch am ehesten befähigt sind, der Wirklichkeit dauernd zu genügen, wenn wir uns immer wieder in diesen Zustand versetzen, und daß seiner auch bedarf, wer beileibe nicht bloß erkennen, sondern handeln will. Vermag doch nicht einmal ein Faustkämpfer der Objektivität zu entbehren, die in seinem Fall «ruhig Blut bewahren» heißt, und darf zwischen den Seilen so wenig zornig werden, wie er mutlos werden darf, wenn er nicht den kürzeren ziehen
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