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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Student, der übrigens, in der Nähe besehn, schon ungefähr sechsundzwanzig Jahre alt sein mochte, nur auf diesen Augenblick gewartet hatte und daß sich die Spannung solcher Nachbarschaft sofort in heftigen Angriffen entlud, die zwischen einem Bekehrungsversuch und der Darbringung persönlicher Verachtung die Mitte innehielten. Ulrich erzählte von der Parallelaktion und vermeinte es gut zu machen, wenn er seinen Auftrag so lächerlich, wie dieser war, hinstellte, aber zugleich die Vorteile andeutete, die ein entschlossener Mensch daraus zu schöpfen vermöchte. Er erwartete, daß Schmeißer auf die Anzettelung eingehen werde, die sich dann mit Gottes Hilfe etwas seltsam entwickeln mochte; aber dieser junge Mann war kein bürgerlicher Romantiker und Abenteurer, sondern hörte mit kniffligen Lippen zu, bis Ulrich nichts mehr zu sagen wußte. Er hatte eine schmale Brust zwischen Schultern, die breitknochig waren, und trug scharfe Brillengläser. Diese sehr scharfen Brillen waren die Schönheit in dem Gesicht, das eine fahle, fette, schlecht durchblutete Haut hatte, in harten Nächten über Büchern und Pflichtarbeiten notwendig geworden, und geschärft durch Armut, der nicht gleich bei den ersten Anzeichen ein Arzt zur Verfügung gestanden hatte, war die scharfe Brille für Schmeißers einfaches Gefühl zu einem Sinnbild der Selbstbefreiung geworden: wenn er sein finniges Gesicht mit der gesattelten Nase und den proletarisch spitzen Wangen, von ihr überglänzt, im Spiegel erblickte, erschien es ihm als die vom Geist gekrönte Armut, und besonders oft geschah das, seit er wider Willen Agathe von ferne bewunderte. Seither haßte er auch den athletisch gebauten Ulrich, den er früher wenig beachtet hatte, und dieser las nun seine Verdammung in den Brillengläsern und kam sich plaudernd wie ein spielendes Kind vor zwei Kanonenrohren vor. Als er geendet hatte, antwortete ihm Schmeißer, mit Lippen, die sich vor Wohlgefallen an dem, was sie sagten, kaum von einander trennen konnten: «Die Partei hat solche Abenteuer nicht nötig; wir kommen auf unserem eigenen Weg ans Ziel!»
    Da hatte es nun der Bourgeois!
    Es war schwer für Ulrich nach dieser Ablehnung noch weitere Worte zu finden, aber er ging den Gegner gerade an und sagte schließlich lachend: «Wenn ich der wäre, für den Sie mich halten, sollten Sie mir Gift in die Wasserleitung tun, oder die Bäume ansägen, unter denen ich lustwandle: warum wollen Sie so etwas nicht in einem Falle tun, wo es vielleicht wirklich am Platze wäre?»
    «Sie haben keine Ahnung, worauf es in der Politik ankommt,» erwiderte Schmeißer «denn Sie sind ein sozial-romantischer Bürger, bestenfalls ein Individualanarchist! Ernsthafte Revolutionäre denken nicht an blutige Revolutionen!»
    Seither hatte Ulrich öfter kleine Unterhaltungen mit diesem Revolutionär, der keine Revolution machen wollte; «daß über kurz oder lang die Menschheit in irgend einer Form sozialistisch organisiert sein wird,» sagte er ihm «das habe ich schon als Kavallerieleutnant gewußt; es ist sozusagen die letzte Chance, die ihr Gott gelassen hat. Denn der Zustand, daß Millionen Menschen auf das roheste hinabgedrückt werden, damit tausende mit der Macht, die ihnen daraus erwächst, doch nichts Hohes anzufangen wissen, dieser Zustand ist nicht bloß ungerecht und verbrecherisch, sondern auch dumm, unzweckmäßig und selbstmörderisch!»
    Und Schmeißer erwiderte ihm höhnisch: «Aber Sie haben sich immer damit begnügt, das zu wissen. Nicht wahr? Das ist der bürgerliche Intellektuelle! Sie haben einigemal zu mir von einem Bankdirektor gesprochen, mit dem Sie befreundet sind: ich versichere Ihnen, dieser Bankdirektor ist mein Feind, ich bekämpfe ihn, ich weise ihm nach, daß seine Überzeugungen nur Vorwände für seinen Profit sind, aber er hat doch wenigstens Überzeugungen! Er sagt ja, wo ich nein sage! Dagegen Sie? In Ihnen hat sich alles schon aufgelöst, in Ihnen hat sich die bürgerliche Lüge bereits zu zersetzen begonnen!»
    Friedlich räumte Ulrich ein: «Es mag sein, daß meine Art zu denken bürgerlicher Herkunft ist; für einen Teil ist das sogar wahrscheinlich. Aber: Inter faeces et urinam nascimur – warum nicht auch unsere Meinung? Was beweist das gegen ihre Richtigkeit?!»
    Denn wenn Ulrich so sprach, höflichen Geistes, konnte Schmeißer nie an sich halten und zerbarst jedesmal von neuem: «Alles, was Sie sagen, entspringt der sittlichen Verlogenheit der bürgerlichen Gesellschaft!»

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