Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
Vom Netzwerk:
immer vorher angesetzten und verabredeten Ende eines solchen Besuches unerachtet des verspäteten Beginns und wie sehr ihn auch das Gespräch fesseln mochte, zu verstummen begann und Agathe zu verstehen gab, daß seine Zeit nun anderen Pflichten gehöre. Diese Ungezogenheit begrüßte Agathe nicht nur mit Lächeln, sondern nahm sie dankbar hin. Denn diese wenigstens an einer Seite genau wie von einem Metallrand eingefaßten und scharf anschlagenden Minuten des Gesprächs teilten auch dem Rest des Tags etwas von ihrer Bestimmtheit mit. Nach den maßlosen Gesprächen mit Ulrich wirkte das, wie wenn man sich schlank fühlt und mit einem Riemen eng umgürtet.
    Als sie es aber einmal Lindner sagte und ihm eine Annehmlichkeit zu erweisen gedachte, versäumte er sofort eine Viertelstunde und war am nächsten Tag sehr ungehalten über sich.
    Unter diesen Umständen war er ein strenger Lehrer für Agathe.
    Aber Agathe war eine sonderbare Schülerin. Noch immer flößte ihr dieser Mann, der etwas zu ihren Gunsten wollte, obgleich er neuestens mit sich selbst nicht zustandkam, Vertrauen und sogar Trost ein, wenn sie an dem Fortschritt mit Ulrich verzweifeln wollte. Sie suchte dann Lindner auf, und nicht nur deshalb, weil er aus irgendwelchen äußeren Gründen Ulrichs Gegner war, sondern auch, ja desto mehr, aus dem Anlaß, weil er so deutlich wie unwillkürlich die Eifersucht merken ließ, in die es ihn schon versetzte, wenn bloß Ulrichs Name genannt wurde. Das war offenbar keine persönliche Nebenbuhlerschaft, denn Agathe wußte, daß sich die beiden Männer kaum kannten, sondern eine geistiggattungsmäßige, ähnlich dem, daß Tiergattungen ihre besonderen Feinde haben, die sie schon kennen, wenn sie ihnen zum erstenmal begegnen, und deren geringste Annäherung sie in Aufregung versetzt. Und merkwürdigerweise konnte sie Lindner verstehen; denn etwas, das Eifersucht genannt werden mochte, fand sich auch unter ihren Gefühlen für Ulrich vor, ein Nicht-Schritthaltenkönnen oder kränkendes Müdewerden, vielleicht auch, einfach gesagt, eine weibliche Eifersucht auf seine männliche Gedankenlust, und es machte sie gerne zuhören und mit schaurigem Behagen, wenn Lindner irgendwelche Anschauungen bestritt, die Ulrichs sein konnten, was er immer mit besonderer Vorliebe tat. Sie konnte sich umso gefahrloser darauf einlassen, als sie sich Lindner besser gewachsen fühlte als ihrem Bruder, denn mochte er noch so kriegerisch auftreten, ja mochte er sie sogar einschüchtern, so blieb in ihr doch immer ein heimliches Mißtrauen am Werk und war manchmal von der Art, wie es Frauen gegen die Bestrebungen anderer Frauen empfinden.
    Noch immer bekam Agathe Herzklopfen, wenn sie einen Augenblick allein in der Lindnerschen Umgebung saß, so als wäre sie dem Aufsteigen von Dämpfen ausgesetzt, die ihr den Kopf verzauberten. Die Versuchung, das Mißbehagen, das sie empfand, sich behagen zu lassen, die gaukelnde Möglichkeit, daß es geschähe, riefen in ihr immer die Geschichte eines entführten Mädchens hervor, das, unter fremden Menschen erzogen, gleichsam in sich selbst vertauscht und eine fremde Frau wird: es war das eine der Geschichten, die, auf ihre Kindheit zurückreichend und ohne ihr sonderlich wichtig zu sein, manchmal eine Rolle in den Versuchungen ihres Lebens und in deren Entschuldigungen gespielt hatten. Aber Ulrich hatte ihr eine eigene Deutung für diese Geschichten gegeben, aus denen man sonst leicht bloß eine mangelhafte Seelenverfassung herauslesen konnte, und sie glaubte leidenschaftlicher an seine Auslegung als er selbst. Denn Gott hat der Breite und Länge der Zeit nach nicht nur dieses eine Leben geschaffen, das wir gerade führen, es ist in keiner Weise das wahre, es ist einer von seinen vielen hoffentlich planvollen Versuchen, er hat für uns vom Augenblick nicht Verblendete keine Notwendigkeit hineingelegt, und derart von Gott sprechend und die Unvollkommenheit der Welt, das Ziellose, sinnlos Tatsächliche ihres Wandels, die durchschaute Pose ihrer Ordnung als die eigentliche Vision Gottes und die aussichtsreichste Annäherung an ihn darstellend, lehrte sie Ulrich auch die Bedeutung des Reizes, unsicher in sich, schattenhaft planend neben sich ein anderer zu sein, in diesem Sinne verstehen.
    So spürte Agathe doch Ulrich in der Nähe, während sie aufmerksam die Wände Lindners betrachtete, die mit Bildern göttlichen Inhalts behangen waren. Es fiel ihr auf, daß sie wohl Raffael, Murillo, Bernini in Stichen an den

Weitere Kostenlose Bücher