Gesammelte Werke
Erfahrung zugrunde, daß abhängige Staaten rücksichtslos behandelt werden. Gerade so wie abhängige Menschen. — Es ist das Gefühl für den eigenen Schlendrian. Der Fortschritt wäre ja gemeinsam und vereinigend. – Sie verteidigen die Kultur, statt sie zu besitzen.
Der Mensch der Kultur ist in der ganzen Welt einsam.
Es gibt nur die beiden Auffassungen: Kultur! Dann ist alles, was geschieht, verkehrt. Oder: Macht! oder ähnliches. Kampf von Tierrassen. Von auserwählten Völkern. Eine unter Umständen große Vision, aber völlig unfundiert, da die Völker kein Ziel haben, außer der Selbstbehauptung.
Nachtrag (16. II. 36): Wie kann sich jemand, den das Schwester-Problem beschäftigt, für Politik interessieren?!
Wie wäre zusammenzufassen und zu ergänzen? Pol. gehört zum Problem h – b, Liebe – Gewalt, Path – Ag. u dgl. u. z. zum aktiven, bösen Teil. Kann also nur durch Vernunft melioriert werden. Im Kreislauf des Gefühls gehört es zum Außenteil. Die utopische Antwort weiß Ulrich also. Interessiert ihn die andere nicht? Er haßt die Politik mit ihrem verkehrten Anspruch, daß die Wahrheit eine Degeneration des politischen Anspruchs sei. Es begänne hier Flucht aus der Welt, bewußte «Verbrechens»gesinnung?
Aus «Studie zum Prophetenkapitel»: Das Kapitel steht jetzt im Zug von Ulrich-Politik-Tat, das bis Museumskapitel reicht, und im Zug von Kultur, das bis ans Ende reicht. Seine nähere Umgebung ist die Untätigkeitsgruppe. Dazu stehen die aktiven Figuren Schmeißer und Meingast in Kontrast. –––– Bei «(Wie anders als Ulrich!)» eingefallen: eine Aufgabe dieses Kapitels ist eben die Propheten zu zeigen. Alles ist mehr, als es ist, und ähnliches. –––– Direkte Anknüpfung Meingast und Schmeißer: Besitz und Bildung versagen. ––––––––
Randnotiz: –––– Schmeißer (eventuell und Rotbart) ist der neue Sekretär des Grafen Leinsdorf, von Ulrich empfohlen. (Rotbart der von Tuzzi empfohlene) –––– Rotbart und Hans Sepp in eins ziehen? Hans Sepp wäre auch von Ulrich empfohlen. Beide Sekretäre sehr anspruchsvoll und respektlos (wie es der kommenden Entwicklung entspricht.)
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84
Agathe bei Lindner
[Entwurf]
In dieser ganzen Zeit setzte Agathe ihre Besuche bei Lindner fort. Das Konto für unvorhergesehene Zeitverluste wurde dadurch übermäßig beansprucht, und allzu oft bedeutete seine Überschreitung einen Abstrich an allen anderen Unternehmungen. Außerdem verlangte das Mitgefühl mit dieser jungen Frau auch noch viel Zeit, wenn sie nicht da war.
«Ist Ihnen mein Besuch denn peinlich?» hatte sie ihn bei der ersten Wiederholung gefragt.
«Und was sagt Ihr Herr Bruder dazu!?» erwiderte Lindner jedesmal ernst.
«Ich habe ihm noch nichts davon gesagt» teilte Agathe zutraulich mit. «Denn am Ende könnte es auch ihm nicht recht sein. Sie haben mich ängstlich gemacht».
Nun, man darf seine Hand einem Hilfesuchenden nicht verweigern. Aber Agathe verspätete sich jedesmal, wenn sie sich verabredet hatten. Vergeblich war ihr gesagt, daß Unpünktlichkeit das gleiche sei wie Vertragsuntreue oder Gewissensmangel. «Es läßt darauf schließen, daß Sie sich auch sonst in einem schläfrigen Zustand des Willens befinden und sich zufällig auftauchenden Gelegenheiten traumhaft hingeben, statt sich mit gesammelter Energie rechtzeitig loszulösen!» warf ihr Lindner vor.
«Wäre es nur traumhaft!» erwiderte Agathe.
Lindner aber erklärte heftig: «Ein solcher Mangel an Selbstbeherrschung läßt eben jede Unzuverlässigkeit auch befürchten!»
«Wahrscheinlich. Ich fürchte auch» war Agathes Antwort.
«Haben Sie denn keinen Willen?!»
«Nein».
«Sie sind phantastisch und ohne Disziplin!»
«Ja». Und nach einer kleinen Pause fügte sie lächelnd hinzu: «Mein Bruder sagt, ich sei ein Fragmentmensch, das ist hübsch, nicht wahr? auch wenn nicht feststeht, was es bedeutet. Man kann an einen unvollendeten Band unvollendeter Gedichte denken.»
Lindner schwieg unwillig.
«Mein Mann dagegen behauptet jetzt unhöflich, ich sei pathologisch, eine Neuropathin oder dergleichen» fuhr Agathe fort.
Und darauf rief dann doch Lindner höhnisch aus: «Nein, was Sie sagen! Wie gefällt es den heutigen Menschen, wenn sich moralische Aufgaben scheinbar auf medizinische zurückführen lassen! Aber so bequem kann ich es Ihnen nicht machen.»
Den einzigen Erziehungserfolg, den Lindner erreichte, verdankte er dem Grundsatz, daß er fünf Minuten vor dem
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