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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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gestoßen: –– Soziale Beschuldigung und Verteidigung Ulrichs beziehungsweise: Warum Ulrich unpolitisch ist. Das ist nun einesteils eine Ergänzung der noch ausständigen Antwort, die Ulrich der Aufforderung Stumms hätte geben sollen (und die er Agathe gibt), andernteils geht es darüber hinaus ins Problem Politik.
    3. IX.: Schon während Schmeißers Unterhaltungen ... zeigt sich der Zusammenhang mit dem Nationenkapitel und weiteren General-Kapiteln, so daß von der Frage, warum sich Ulrich nicht für Politik interessiert, das ganze Politikproblem ausgeht.
    Eigentlich reduziert sich Ulrichs Verhältnis zur Politik auf Folgendes: Wie alle Menschen, die sachlich oder persönlich ihre eigene Aufgabe haben, wünschte er von der Politik möglichst nicht gestört zu werden. Daß das, was ihm wichtig sei, durch sie gefördert werden könnte, erwartete er nicht. Daß immerhin auch im bestehenden Zustand schon ein gewisses Maß an Förderung liege, mit anderen Worten daß es auch viel schlechter noch kommen könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Ein Politiker galt ihm als ein Spezialist, der sich der gewiß nicht leichten Aufgabe der Interessenvereinigung und Interessenvertretung widmet. Er wäre auch bereit gewesen, sich bis zu einem erträglichen Grad unterzuordnen und Opfer zu übernehmen.
    Daß zum Begriff der Politik das Moment der Macht gehört, übersah Ulrich nicht, der sich doch oft die Frage vorgelegt hatte, ob etwas Gutes überhaupt ohne den «stützenden» Antrieb des Bösen zustande kommen könne. Politik ist Befehl. Merkwürdigerweise sein eigener Lehrer Nietzsche: Wille zur Macht! Er hatte es aber ins Geistige sublimiert. Macht steht in Widerspruch zu den Prinzipien (Lebensbedingungen) des Geistes. Hier konkurrieren zwei Machtansprüche. Macht in der Weise der Politik schwand aus seinem Gesichtsfeld, ebenso wie Macht in der Weise des Kriegs. Diese Naivität kommt ihm jetzt zu Bewußtsein. Es mag vorkommen, aber im Grunde ist es rückständig wie eine Knabenprügelei.
    Der Marasmus der Demokratie kam dem entgegen. Die stillschweigende Voraussetzung des Parlamentarismus war, daß aus dem Geschwätz der Fortschritt hervorgehe, daß sich eine steigende Annäherung an das Wahre ergebe. Es sah nicht so aus. Die Zeitungen und so weiter. Der grauenvolle Begriff der «Weltanschauungen.» Der Gesinnung. Es gibt heute nur unehrlich erworbene Überzeugungen. Die Politisierung des Geistes dadurch, daß nur das Genehme gilt. Darüber die dünn und mürbe gewordene Fiktion der Kultureinheit. (Repräsentiert durch die Monarchie. Der Demokratie war noch nicht die Haut abgezogen.) Was gut in diesem Leben war, geschah von Einzelnen. Wenn Ulrich von seinem «anderer Zustand»-Abenteuer absieht, das Verhältnis von Macht und Geist wird immer bleiben, aber es kann sublimierte Formen annehmen (Und wird es vielleicht tun, nachdem es eine Reihe kollektiver Versuche durchlaufen hat, die jetzt erst beginnen).
    Wenn Ulrich sich das praktisch vorstellte: man müßte mit der Schule beginnen, nein, man weiß nicht womit nicht! Das ist das verlassene –––– Gefühl des Einzelnen, das ihn zu seinem Experiment und Verbrechen führt.
    Anders: Ein Geist herrscht, ohne ins letzte durchgebildet zu sein. Dann kommt jemand und zwingt etwas Anderes auf. Mit anderen Worten vielleicht: die Gesamtheit verändert sich durch einen Einzelnen (Produziert ihn, sagen manche). Es erscheint den Menschen als Unsinn, Wahnsinn, Verbrechen. Nach kurzer Zeit passen sie sich dem an. Zuckerbrot-Peitsche, die berüchtigte Charakterlosigkeit und Verächtlichkeit der Menschen, was ist das eigentlich? Und Geist ist immer nur eine Zimmerdekoration, das Zimmer kann man ihm vorschreiben. Darum wird er nie haltbar und wechselt mit der Macht.
    Zusammenhängend damit: Nietzsche hat es vorausgesagt. Der Geist hat ungefähr die Lebensart einer Frau, er unterwirft sich der Kraft, wird hingelegt, widerstrebend, und findet dann doch sein Vergnügen dabei. Und verschönt, macht Vorwürfe, beredet im einzelnen. Bereitet Vergnügen. Auf welches Bedürfnis stützt er sich da?
    «Wenn Europa sich nicht zusammenschließt, so wird die europäische Kultur durch die gelbe Rasse in absehbarer Zeit vernichtet werden ...» und so weiter. Man könnte es auf die Formel bringen: sie richten ihre eigene Kultur lieber selbst zugrunde! Denn es ist komisch, dieses heiße, plötzliche und zweifellos im Augenblick nicht unehrliche Gefühl für die Kultur. – Nebenbei liegt dem natürlich auch die

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