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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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merkwürdige Beschämung wird ihn daran hindern, es zu tun, denn er muß erkennen, daß es in einer alles umfassenden Weise zwecklos ist, er ist ja kein Mann mehr, er ist in ein mädchenhaftes Dasein erniedrigt, in das Dasein eines Handtuches, eines Taschentuches, einer Tasse, irgendwelcher Wesen, die, nicht ohne Zärtlichkeit, dienen dürfen. Ich möchte den Augenblick kennen, wo er dann, zum erstenmal wieder, vor seine Peinigerin gerufen wird und das, was sie mit ihm vorhat, in ihren Augen liest ...»
    Agathe lachte spöttisch auf. «Recht seltsame Gedanken hast du dir gemacht, Ulo! Und wenn ich denke, daß dein Sklave vor seiner Entmannung vielleicht ein Metzger oder fescher Hausdiener gewesen ist ...?»
    Ulrich lachte harmlos mit. «Dann fände ich wohl selbst meine Schilderung seiner Seelenerweckung beunruhigend komisch» gab er zu. Er war selbst froh darüber, daß diesem anrüchigen Gefühlsbericht ein Ende bereitet wurde. Denn es müßte ihm wohl unversehens verschiedenes in den Kopf gekommen sein, was nicht dahin gehörte: so als ob etwas von den mythologischen ihre Anbeter verzehrenden Göttinnen oder den Siamesischen Zwillingen bis zum Masochismus oder zum Kastrationskomplex mit dem Fingernagel über das zweifelhafte Tastenwerk der zeitgenössischen Seelenlehre gefahren wäre! Als er zu lachen aufhörte, machte er unvermittelt ein erbittertes Gesicht.
    Agathe legte die Hand auf seinen Arm. In ihren grauen Augen zuckten die winzigen Schatten einer verhohlenen Erregung. «Aber warum hast du mir das erzählt?» fragte sie.
    «Ich weiß nicht» sagte Ulrich.
    «Ich glaube, du hast an mich gedacht» behauptete sie.
    «Unsinn!» wehrte Ulrich ab, und nach einer Weile fragte er: «Weißt du, daß heute wieder ein Brief von Hagauer gekommen ist?» und begann scheinbar damit von etwas anderem zu sprechen.
    Die Briefe Hagauers, die damals eintrafen, wurden von einem zum anderen bedrohlicher. «Ich verstehe nicht, warum er sich unter diesen Umständen nicht auf die Bahn setzt und herkommt, um eine Aufklärung zu erzwingen» fuhr Ulrich fort.
    «Er wird keine Zeit dazu finden» sagte Agathe.
    Und so verhielt es sich auch. Hagauer war anfangs einigemal dazu entschlossen gewesen, aber da war jedesmal etwas dazwischen gekommen, und dann hatte er sich etwas an das Alleinsein gewöhnt. Es schien ihm ganz gut zu sein, eine Weile ohne Frau zu leben: der Mann soll nicht allzu glücklich sein oder es allzu bequem haben, – es ist das eine heroische Lebensauffassung. So trat Hagauer seinem Mißgeschick tatkräftig entgegen und hatte die Genugtuung wahrzunehmen, daß nicht nur die Zeit Wunden zu heilen vermag, sondern auch der Zeitmangel. Das hinderte ihn aber natürlich nicht, in der Forderung fortzufahren, daß Agathe zurückkehre, ja er konnte sich dieser Ordnungsfrage mit dem ungestörten Verstande eines Mannes widmen, der die Kinder seines Gefühls zu Bett geschickt hat. Er nahm gründlich noch einmal Einsicht in alle Dokumente, die er wohl geordnet aufbewahrte, und las Abend für Abend alle persönlichen Schreiben seines verstorbenen Schwiegervaters durch, ohne auch nur in einem dieser Schriftstücke eine Andeutung der Überraschung zu finden, mit der man ihm aufgewartet hatte. Und daß ein Mann, den er immer als Vorbild hatte verehren dürfen, im letzten Augenblick seinen Sinn geändert haben könnte oder durch Jahre sein Testament mit Nachlässigkeit nicht veränderten Umständen angepaßt haben sollte, erschien Hagauer desto unwahrscheinlicher, je öfter er die Bändchen gelöst und die Aufschriftzettel entfernt hatte, mit denen er seinen Briefwechsel und andere schriftliche Angelegenheiten in Ordnung hielt. Er vermied es, darüber nachzudenken, wie dann das Ergebnis zustandegekommen sei, das schließlich vorlag, und kam mit sich überein, daß irgendein Irrtum, irgendeine Flüchtigkeit, irgendeine schuldhafte oder schuldlose Fahrlässigkeit, irgendein advokatorischer Kniff dahinterstecken müsse. In dieser Auffassung, die es ihm erlaubte, sein Gemüt noch zu schonen, ohne darüber seine Zeit zu versäumen, begnügte er sich damit, genaue Aufstellungen und Belege zu fordern, und als diese nicht kamen, einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen, denn er setzte nun als ordnungsliebender Mensch voraus, daß Agathe und Ulrich in ihrem verstockten Bestreben offenbar schon das Gleiche getan haben müßten, und dürfte nicht hinter ihnen zurückbleiben. Nun übernahm der Rechtsanwalt das Briefeschreiben und wiederholte die

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