Gesammelte Werke
nicht, und eine Scheidung «dem Bande nach», die wirkliche Aufhebung der katholisch geschlossenen Ehe mit Hagauer, war nach den Gesetzen des Landes unmöglich und nur auf dem Umweg über verschiedene andere Staaten und deren Rechtsbeziehungen zu einander sowie durch verwickelte Ein- und Ausbürgerungen zu erreichen, was einen Weg ergab, der zwar sicher zum Ziel führen sollte, aber durchaus nicht ohne Schwierigkeiten und im vorhinein zu übersehen war. Darum hatte sich Agathes Rechtsanwalt vorgenommen, ihren allzu gewöhnlichen Scheidungsgrund, den sie einfach als Abneigung angab, durch einen stichhaltigeren zu ersetzen.
«Unüberwindliche Abneigung könnte nicht genügen, haben Sie Ihrem Herrn Gemahl nicht noch etwas anderes vorzuwerfen, gnädige Frau?» forschte er.
Agathe sagte kurzweg nein. Sie hätte Hagauer vieles vorwerfen können, aber sie wurde rot und blaß, denn alles gehörte so wenig hierher wie sie selbst. Sie war Ulrich böse.
Der Rechtsanwalt sah sie aufmerksam an. «Unhöfliche Behandlung, leichtfertige Vermögensgebarung, grobe Vernachlässigung der Pflichten als Gatte ..., wie steht es damit, gnädige Frau?» Er versuchte, sie auf einen Einfall zu bringen. «Die sicherste Scheidungsursache bleibt natürlich immer eheliche Untreue!»
Nun sah auch Agathe ihr Gegenüber an und antwortete mit klarer, ruhiger, tiefer Stimme: «Alle solche Gründe habe ich ja nicht!»
Vielleicht hätte sie lächeln sollen. Dann wäre der Mann, der ihr, sorgfältig gekleidet, gegenübersaß und immerhin noch lebenslustig war, überzeugt gewesen, eine schöne und unbestimmbar fesselnde Frau vor sich zu haben. Aber der Ernst ihres Ausdrucks ließ nicht das geringste für ihn übrig, und das Gehirn des Anwalts wurde trocken. Er erinnerte sich aus den Akten, zu denen nicht nur die Zuschriften des gegnerischen Vertreters, sondern auch Briefe Hagauers an Ulrich gehörten, an jene sorgfältig substantivierten Beschwerden darüber, daß das Scheidungsbegehren ungerechtfertigt und launenhaft unernst sei, und er dachte einen Augenblick daran, daß er viel lieber der Vertreter dieses anscheinend nüchternen und verläßlichen Mannes wäre. Dann fiel ihm ein, daß irgendwo auch das Wort «Psychopathin» vorkäme, und er wies es nicht so sehr Agathes wegen von sich, als weil es ihn hätte hindern können, den lohnenden Auftrag zu übernehmen. «Nervös wird sie eben sein, solch eine Nervöse, die zu allerhand fähig ist, wie man es oft antrifft!» dachte er und begann seine Ausfragung vorsichtig jener Stelle zuzuwenden, die sich ihm bei der Prüfung des gesamten Bestandes als das Aufklärungsbedürftigste eingeprägt hatte. In der bei den Akten befindlichen Korrespondenz befanden sich – und zwar sowohl in den Briefen Hagauers an Ulrich als, was schwerer wog, auch in den Zuschriften des gegnerischen Anwalts — mehr oder minder deutliche Anspielungen eines Sinnes eingestreut, als wüßten die Herren von Unregelmäßigkeiten, die bei der Behandlung der Verlassenschaft vorgekommen seien, oder wären gar auch willens die Beziehungen zu verdächtigen, die seither zwischen den Geschwistern eingetreten wären: es waren dies die bekannten Ergebnisse des punktweis-abgestuften Nachdenkens von Ulrichs Schwager und wollten so verstanden sein, daß die Geschwister es sich wohl überlegen möchten, ob es nicht besser sei, ihren Entschluß zu ändern, ehe sie sich zu weit in eine Angelegenheit einließen, die für sie allerhand Gefahren enthielte. Agathes neuer Ratgeber brachte diese unzweideutigen Anspielungen nun so zur Sprache, daß er sich damit an Ulrich, als den ihm schon Bekannteren, wandte, und es in der höflichen Weise eines Mannes tat, der einem anderen die Wiederholung einer überflüssigen Belästigung nicht ersparen kann, er, wandte sich dazwischen aber auch an Agathe und gab zu verstehen, ob es sich zwar nur um eine Förmlichkeit handle, daß doch auch sie selbst als seine Auftraggeberin ihm über diese Einwürfe, die unter Umständen so schwer wiegen konnten als sie sich gewissenlos aussprechen ließen, eine Versicherung abgeben müßte, auf die er sein weiteres Handeln stützen könne.
Nun hatte aber weder Agathe die Briefe Hagauers gelesen, noch Ulrich von ihr Auskunft bekommen, was sie in der auf die «sogenannte Testamentsfälschung» – unwillkürlich sprach er in diesem Augenblick zu sich selbst so vorsichtig! — folgenden Zeit ihres Alleinseins eigentlich Alles unternommen habe. Es trat also eine kleine
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