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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Verlegenheitspause ein, die recht sonderbar wirkte. Ulrich suchte sie durch eine Gebärde zu beenden, die in einer gelassen hochmütigen Weise das Begehren des Rechtsanwalts als überflüssig und im vorhinein erfüllt bezeichnen sollte, aber seine Schwester störte diesen Plan ein wenig, indem sie zur gleichen Zeit gelassen neugierig an den Rechtsanwalt die Frage richtete, was ihr Mann denn eigentlich zu wissen meine. Der Rechtsanwalt sah von einem zum andern. «Meine Schwester gibt Ihnen natürlich die Versicherung, die Sie wünschen, in jeder Form» erklärte Ulrich schnell und möglichst gleichgültig. «Sie ist durch mich von dem Inhalt der Briefe genau unterrichtet, hat sie aber aus ganz persönlichen Gründen nur zum Teil selbst gelesen.» Diesmal lächelte Agathe, die ihren Fehler bemerkt hatte, rechtzeitig und bestätigte, daß es so sei. «Ich war zu sehr verstimmt» behauptete sie mit Ruhe.
    Der Advokat dachte einen Augenblick nach. Es ging ihm durch den Sinn, daß dieser Zwischenfall ganz gut eine unerwünschte Bestätigung der gegnerischen Behauptung bedeuten könnte, daß Agathe unter einem unheilvollen Einfluß ihres Bruders stünde. Er glaubte natürlich nicht daran, aber er fühlte ohnehin gegen Ulrich ein wenig Abneigung. Das bewog ihn, Agathe mit der größten Höflichkeit zur Antwort zu geben: «Ich bitte vielmals um Verzeihung, gnädige Frau, aber mein Beruf zwingt mich, auf der Bitte zu bestehn, daß Sie in diese Angelegenheit selbst Einsicht nehmen müssen.» Und mit diesen Worten reichte er ihr, leicht nötigend, die Aktenmappe hinüber.
    Agathe zauderte.
    Ulrich sagte: «Du mußt formell selbst Einsicht nehmen.»
    Der Advokat lächelte höflich und fügte hinzu: «Verzeihung, nicht nur formell!»
    Agathe ließ ihren Blick zweimal in die Blätter tauchen, verzog das Gesicht und klappte die Mappe wieder zu.
    Der Rechtsanwalt zeigte sich befriedigt. «Diese Anspielungen sind bedeutungslos» versicherte er. «Ich habe das auch vorausgesetzt. Der Kollege hätte der üblen Gereiztheit seines Klienten einfach nicht nachgeben dürfen. Aber es wäre immerhin peinlich, wenn während des zivilrechtlichen Verfahrens plötzlich eine staatsanwaltschaftliche Anzeige einliefe. Man müßte dann sofort mit einer Gegenklage wegen Verleumdung antworten können oder ähnlich ...» Scheinbar ohne daß er es wollte, ging seine Redeweise aus der Art der Unwirklichkeit dabei wieder in die des Möglichen über, und Ulrich kam es vor, daß in diesen Versicherungen noch immer eine Frage lauere.
    «Natürlich wäre es ungemein peinlich» bestätigte er trocken und nahm sich vor, außer diesem bekannten Scheidungsanwalt noch einen richtigen Verbrecheranwalt zu befragen, einen, mit dem man etwas offener reden könne, um alle Möglichkeiten zu erfahren, die in so einer Unglücksgeschichte stecken. Aber er wußte nicht, wie er einen solchen Mann finden solle. «Ein Kampf in dieser schmutzigen Art ist für reinliche Menschen immer peinlich» fügte er hinzu. «Aber kann man etwas anderes tun als abwarten?»
    Der Rechtsanwalt tat, als müßte er noch einen Augenblick nachdenken, lächelte und sagte mit einer Bitte um Entschuldigung, daß er doch sehr raten müsse, auf seinen ursprünglichen Vorschlag zurückzugreifen und dem Gegner eine Verletzung der ehelichen Treue nachzuweisen. Die Länge der schon bestehenden Trennung ließe den anzulastenden Tatbestand mit Sicherheit voraussetzen, an Instituten, die so etwas diskret und verläßlich besorgten, bestünde kein Mangel und daß man mit diesem gleichsam klassischen Scheidungsgrund unaufhaltsam und am raschesten zum Ziel käme, wäre der größte Vorteil, in einem Kampf, wo man dem Gegner keine Zeit lassen dürfe, seine Intrigen zu entfalten.
    Ulrich schien das auch einzusehen.
    Aber Agathe, die ihre einstige Sicherheit im Verkehr mit Anwälten und anderen Rechtspersonen ganz verloren hatte, sagte nein. Hatte sie sich eingebildet, daß man eine Scheidung beim Advokaten bestelle wie eine Torte beim Zuckerbäcker, die nach Wahl ins Haus geliefert wird, geschah es, daß sie Ulrich verübelte, sie in eine Lage gebracht zu haben, wo ihr Verantwortlichkeitsgefühl für Hagauer die unschuldig zugefügten Peinlichkeiten erwachte, oder wollte sie einfach nicht den Absturz ihrer Welt in die Fortdauer solcher Unterredungen ertragen, genug, sie weigerte sich heftig.
    Sie hielt diesen Vorschlag auch für eine Bequemlichkeit des Rechtsanwalts und hätte sich vielleicht überreden lassen; aber

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